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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Veuve Christophe, und Alles, was ich thun kann, ist, so viel als möglich, die Dunkelheit zu suchen. Seit ich Sie zuletzt gesehen habe, mein Herr, fuhr sie fort, habe ich einen Gemahl, einen Thron und alle meine Kinder verloren. Nur diese eine (indem sie auf ihre Tochter wies) habe ich gerettet, und die Sorgen haben mich aller Eitelkeiten dieses Lebens entwöhnt; in meinem Alter und in meiner Lage kann ich meinen Blick nur auf die zukünftige Welt richten, als einen Ort der Ruhe und des Friedens.“ Ihr Kummer war so ohne alle Affectation und die Unglücksfälle, welche sie getroffen hatten, waren so schwer gewesen, daß das Herz wahrlich hart hätte seyn müssen, das nicht an ihren Gefühlen Antheil genommen hätte. Es zeigte sich durchaus nichts Selbstisches an ihr; sie schien mehr ihre Lieben zu bedauern, die sie verloren, als die zeitlichen Vortheile, die sie einst genossen hatte, oder die hohe Stellung, von der sie herabgefallen war. Es war eine Würde in Allem, was sie sagte, die bei jedem Andern Aufmerksamkeit und Achtung verdient hätte, bei ihr aber die angenehme Ueberraschung erregen mußte, daß eine Person, unter so wenig Aufforderungen oder Gelegenheiten zur Ausbildung ihres religiösen Gefühls, eine so hohe Stufe der Religiosität erreicht hatte. Ein Unglück, wie das ihrige, läßt wenig Trostgründe zu, und ich würde daher gern das Gespräch auf einen angenehmeren Gegenstand gewandt haben, als diesen; aber sie suchte die Erwähnung ihres Mißgeschickes eher selbst herbeizuführen, als zu vermeiden, es schien ihr eine Erleichterung zu gewähren, darauf zu verweilen.

Mit aller Geschwätzigkeit des Alters erzählte sie mir ihr Leiden wieder und wieder, beschrieb sie mir den Kampf ihrer Gefühle, als sie den Schuß fallen hörte, der – wie sie wußte – ihren Gemahl des Lebens beraubte. Sie waren zu Sans Souci, wo Christoph einige Zeit durch Unpäßlichkeit im Bett gehalten worden war. Die Armee hatte sich empört und rückte von Cap François, das nur wenige Meilen entfernt ist, in voller Wuth heran, entschlossen, ihn zu vernichten. Sie beschrieb ihr Entsetzen, als ihre Kinder von ihrer Seite gerissen wurden. Der eine Sohn, ein tapferer Jüngling, leistete verzweifelteren Widerstand, als die übrigen; er wurde unter ihrem Fenster, wörtlich, in Stücke gehauen. Sie hörten ihren ältesten Sohn um sein Leben bitten, aber er flehte zu Menschen, die kein Erbarmen kannten. Er war in England erzogen worden und war ihr Lieblingskind; auch bei dem Volke war er sehr beliebt, und dieses machte einen leichten erfolglosen Versuch, ihn zu retten. Die Soldaten siegten, und bald waren die treuen Diener, die sich um ihren unglücklichen jungen Herrn gesammelt hatten, zerstreut. Eine Salve, und alles war vorüber; die Hoffnungen der Mutter wurden in ihrer Blüthe geknickt, und der vielversprechende junge Mann fiel als ein Opfer der eigensinnigen Ehrsucht seines Vaters. Die arme Dame hatte nicht einmal den Trost ihre ermordeten Kinder zu begraben, ihre verstümmelten Ueberreste wurden von dem wüthenden Pöbel fortgerissen, und mit aller erdenklichen Schmach behandelt. Sie selbst wurde nur mit größter Mühe durch die Menschlichkeit einiger Beamten ihres Gemahls gerettet, die zu viel Dankbarkeit für die Wohlthaten ihres alten Herrn hatten, als daß sie seine Witwe in ihrer Noth verlassen hätten. Sie hielten sie und ihre einzige übrig gebliebene Tochter einige Zeit verborgen, bis die Wuth der Revolution nachgelassen hatte, worauf es ihnen gelang, sie insgeheim an Bord eines englischen Kauffahrers zu bringen, auf welchem sie bald Santo Domingo verließen.

Der Mann, dem sie hauptsächlich ihre Rettung verdankte, war – meine ich – ein Baron Dupuis, wie er damals genannt wurde, ein Mulatte, und – wenn ich mich recht erinnere – der Regierungsdolmetscher, als ich auf der Insel war. Treue und Dankbarkeit sind jetzt so selten, daß sie erwähnt zu werden verdienen, wo wir sie immer finden. Was für eine Farbe er auch gehabt haben mag, das Herz dieses Mannes war auf seinem rechten Platz; und weiß, schwarz, oder broncefarben, verdient er auf die Nachwelt zu kommen. Christoph’s Schicksal erweckt keine Verwunderung; er machte zu despotischen Gebrauch von seiner Macht, als daß sie hätte dauernd seyn können; augenscheinlich hatte er eine solche Katastrophe erwartet, da er bedeutende Geldsummen in den englischen Fonds angelegt hatte, von denen, wie von den Juwelen, die sie gerettet hat, seine Witwe jetzt subsistirt und im Stande ist, ein sehr anständiges Haus zu erhalten.

Ich nahm vielen Antheil an der traurigen Geschichte der armen Dame, und es machte ihr eine Art von melancholischem Vergnügen, dieselbe bei allen Gelegenheiten zu wiederholen. Ich pflegte sie während meines Aufenthaltes in Florenz häufig zu besuchen und fand sie immer unveränderlich die nehmliche. Sie lebte in der größten Zurückgezogenheit und nahm nur wenige Personen an, da sie wohl wußte, daß die, welche kamen, mehr durch Neugierde, als durch Wohlwollen angezogen wurden. Sie war sehr dankbar für meine Aufmerksamkeit und besuchte mich zuweilen auf einer Villa, die ich auf dem Lande hatte, wo sie erfreut war, frei herumgehen zu können, ohne Aufsehen zu erregen. Ich that Alles, was in meinen Kräften stand, sie zu unterhalten, und erbot mich oft, ihr die Stelle eines valet de place zu vertreten. Aber so oft ihre Tochter den Wunsch ausdrückte, etwas mehr in die Welt hinaus zu kommen; so unterdrückte sie denselben: „Nein, pflegte sie zu sagen, es ist nichts für uns, wir sind bereits hinreichend Gegenstände der Neugierde mit unseren schwarzen Gesichtern; wir haben nicht nöthig, uns auch noch zu Gegenständen des Mitleidens zu machen. Ich will meine Leiden nicht vor der Welt ausrufen.“ „Afficher mes malheurs“ war der Ausdruck, dessen sie sich bediente; und sie hatte noch genug von der Königin, um entschieden zu seyn in ihren Entschlüssen, und fand daher ohne Widerspruch Gehorsam. –

Die Exkaiserin von Haiti lebt jetzt in Pisa, wo ich sie vor Kurzem erst sah; und, wenn wir die Trauer um ihre Kinder ausnehmen, so ist sie vielleicht glücklicher dort, als sie je in Sans Souci war.

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_714.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)