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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 174 und 175. 22 und 23 Juny 1828.

Ireland und die Emancipation der Katholiken.


Zweiter Artikel.
Die Geschichte von Ireland.

Wenn man die dießjährigen Parlamentsverhandlungen über die katholische Frage durchgeht und mit den früheren Debatten vergleicht, von denen sie wenig mehr als eine Uebersicht oder Wiederholung sind; so kann man sich kaum des Gedankens erwehren, daß es von beiden Partien, sowohl den Freunden, als den Gegnern der Emancipation, nach einer stillschweigenden Uebereinkunft auf nichts Anderes, als eine Mystification des Publikums angelegt sey. Die Einen führen Verträge und Versprechungen an, deren Verbindlichkeit seit Menschengedenken verjährt ist, die Anderen berufen sich auf Gefahren, auf Verirrungen und Verbrechen, die einer längst vergangenen Zeit angehören; diese sprechen von der Vortrefflichkeit der brittischen Constitution und dem Glanze der anglicanischen Kirche, jene von dem Elende des irischen Volkes und der Nothwendigkeit der Toleranz; beide verlangen oder geben zu, daß die Frage nicht als eine religiöse, sondern als eine politische zu behandeln sey; und beide verlieren entweder völlig aus dem Auge oder spielen nur vorübergehend darauf an – was doch der einzige richtige Gesichtspunct ist – daß es sich nicht darum handelt, ob in einem protestantischen Staate Katholiken und Protestanten gleiche bürgerliche Rechte haben sollen; sondern ob man eine ganze mächtige Nation, die, zu der Zeit ihrer Schwäche, durch die Gewalt der Waffen bezwungen wurde, nachdem sie wieder erstarkt und zu dem Bewußtseyn ihrer Kräfte gekommen ist, noch länger unter dem Drucke halten könne; ob man es vorziehe, – im günstigsten Falle – mit blutiger Hand über ein ohnmächtiges Volk von Sclaven zu herrschen, dessen Tücke und Hinterlist, wenn auch besiegt, jeden Augenblick neue Gefahr drohen würden, oder einen tapfern und großmüthigen Bundesgenossen zur Seite zu haben, dessen Treue durch Dankbarkeit und noch sicherer durch Gleichheit der Interessen verbürgt wäre.

Wir lesen das Buch der Zukunft, wenn wir die Geschichte der Vergangenheit lesen. Die Frage, was geschehen wird; beantwortet sich durch die Frage, was geschehen ist. Um den gegenwärtigen Zustand von Ireland begreifen zu können, müssen wir vor Allem untersuchen, wie dieser Zustand geworden ist; um die Politik des englischen Gouvernements in Bezug auf Ireland beurtheilen zu können, müssen wir die ursprünglichen Verhältnisse kennen lernen, aus denen diese Politik sich entwickelt hat.

Die älteste Bevölkerung von Ireland gehörte einem jener celtischen Stämme an, die wir mehrere Hundert Jahre vor Chr. G. im Besitz von ganz Gallien und Großbritannien und einem großen Theile von Spanien finden. Die Iren waren, der Sage nach, in uralten Zeiten aus Spanien eingewandert; ein Zweig von ihnen ging in das benachbarte Schottland hinüber, wo noch jetzt die Bewohner der Hochlande in Sprache und Sitten die engste Verwandtschaft mit den Iren zeigen, während beide einen entschiedenen Gegensatz gegen die Nachkommen der alten Britten und Gallier in Wales und der Bretagne bilden. [1]

  1. Merkwürdig und vielleicht eine Bestätigung jener alten Sage, wenn diese in der Gestalt, wie sie die Chroniken des Mittelalters uns überliefert haben, auch nur aus der zufälligen Aehnlichkeit der Namen Iberien und Hibernia entstanden seyn sollte, ist, daß die irische Sprache in viel näherer Verwandtschaft mit dem Griechischen und Lateinischen steht, als die celtischen Mundarten von Wales und der Bretagne, mit denen sie jedoch auf der anderen Seite wieder eine nähere Verwandtschaft zeigt, als mit jenen beiden Sprachen. – Wenn wir diese Sprachvergleichungen mit den frühesten Ueberlieferungen des westlichen Europas zusammenstellen, so ergeben sich die überraschendsten Resultate für die älteste Völkergeschichte. Es scheint aus Allem hervorzugehen, daß eben so, wie der Osten Europa’s von deutschen, dann von slavischen Stämmen aus dem östlichen Asien, so der Westen zuerst von iberischen Völkerschaften aus dem nördlichen Africa, darauf von celtischen aus Vorderasien bevölkert wurde. Die Iberier verbreiteten sich gleichzeitig über Spanien, Südfrankreich und Italien; die Celten gingen zuerst aus Kleinasien nach Griechenland hinüber, wo jene Stämme zurückblieben, die wir in der ältesten griechischen Geschichte unter dem Namen der Pelasger finden, die Vorfahren der Hellenen; während andere Schaaren über das adriatische Meer nach Italien zogen und dort die iberischen Ureinwohner vertrieben oder unterwarfen, mit denen verschmolzen sie das Volk der Römer bildeten. Eine dritte Abtheilung scheint ihren Weg im Norden des adriatischen Meeres nach Gallien genommen, und von dort aus sich über Spanien und Großbritannien verbreitet zu haben. Auch in Gallien und Spanien wurde die iberische Bevölkerung verdrängt; und der einzige Rest derselben, der sich unvermischt bis auf unsere Zeiten erhalten hat, sind die Basken in den französischen und spanischen Thälern der Pyrenäen: noch jetzt mehr als eine Million Seelen. Die celtischen Stämme in Gallien, Spanien und Britannien wurden, nachdem sie eine hohe eigenthümliche Bildung erreicht hatten, von den Römern unterjocht, deren Sprache und Sitten
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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_719.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)