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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 176. 24 Juny 1828.

Scenen aus dem politischen Leben in Frankreich.


(Schluß.)

Hr. Visatout entledigte sich seines Censorberufs mit solcher Geschicklichkeit, daß ihn die Congregation mit einer Generaldirektorsstelle belohnte. Einige Tage nach seiner neuen Bestallung erhielt er die Weisung, sich mit Anbruch der Nacht nach einem abgelegenen Haus hinter der Poststraße in den Gärten, einem der zahlreichen Beihäuser von Montrouge, zu begeben. Pater Candide kommt ihm mit offenen Armen entgegen: „Eine große Neuigkeit, mein lieber Censor, wir verabschieden die Deputirtenkammer und haben bereits alle möglichen Maßregeln getroffen, um uns gute Wahlen zu sichern. Morgen erscheint die Auflösungs-Ordonnanz.“

„Ich weiß nicht, ob wir uns zu sehr freuen dürfen; seit fünf Monaten, daß ich Censor bin, arbeite ich an meiner politischen Erziehung; jeden Tag fühle ich dem Staat den Puls: Frankreich hat ein constitutionelles Hirnentzündungsfieber, eine unüberwindliche Abneigung gegen unsre Ausnahmsgesetzgebung und Regierung: von da bis zum revolutionären Delirium ist Ein Schritt.“

„Leider ist dieß nur zuwahr, mein lieber Visatout; allein die siebenjährige Kammer läuft mit drei Jahren ab und wir wissen, daß viele Deputirten gesonnen sind, sich schon im nächsten Jahr zurückzuziehen, da die Kammer nur für fünf Jahre gewählt sey. Seltsamer Skrupel! Wir gaben ihnen zu verstehen, daß sie eigentlich schon den Rubikon passirt hätten. Es hilft aber nichts. Sie sind eigensinnig, wie Maulesel. Was ist zu machen? Wir wählen von zwei Uebeln das geringere. Sind Sie unbesorgt; wenn alle Präfekten ihre Instructionen befolgen – daß sie es thun, dafür bürgt uns ihr eigenes Interesse – so machen sie die Wahlliste so, daß unsere Kandidaten überall durchdringen. Ich nehme Paris aus, wo die Autoritäten durch eine Million Augen etwas genirt sind. Doch daran liegt wenig; im Gegentheil wir brauchen eine Opposition: wenn uns Niemand widerspräche, so wären wir genöthigt, uns selbst zu widersprechen. Jetzt ist der Augenblick da, mein lieber Censor, wo Sie sich etwas angreifen müssen.“

„Ich fürchte sehr, daß ich mich als Censor bald nicht mehr werde angreifen können. Hört die Censur nicht mit der Auflösung der Kammer auf?“

„Wie sind Sie so zaghaft, mein lieber Visatout! Die wahre Censur beruht ihrem Prinzip nach nicht auf einem geschriebenen Gesetz. Eine freundliche Erinnerung an die Drucker und Buchhändler, sich in die Absichten der Regierung zu fügen, bei Strafe das Patent zu verlieren. – Sie lächeln, ha ha! die Augen gehen Ihnen auf. – Nein, Bester, es darf Ihnen um Ihre Censur nicht bange seyn. Durch die Wahlen wird zwar Ihr Geschäft etwas unterbrochen, aber nur äußerlich und auf kurze Zeit. Ihre geheimen Funktionen dauern fort und die Einkünfte behalten Sie.“

(Eine Person tritt ein und wispert dem Pater mit geheimnißvoller Miene in’s Ohr.)

„Herrlich! die Congreation hat entschieden, daß Sie zum Deputirten gewählt werden.“

„Wer? Ich!“

„Eben Sie; werden Sie nicht eine schöne Figur spielen auf den ministeriellen Bänken?“

„Aber ich zahle ja nicht die Steuern, welche das Gesetz vorschreibt.“

„Das Gesetz! Noch einmal! Wann werden Sie einmal klug, um diese kindischen Bedenklichkeiten abzulegen? Sehen Sie, durch dieses Spinngewebe fahre ich mit einem Besen. Das Gesetz ist das Spinngewebe, der Besen .... Nicht wahr?“

„Ja. Aber ich halte doch auch viel auf mein Censorat. Ich verliere es doch nicht?“

„Keineswegs. Es werden sich drei Personen in Ihnen vereinigen, der Generaldirektor, der Deputirte und der Censor: so daß Sie die Censurgesetze in der ersten Eigenschaft abfassen helfen, in der zweiten votiren, und in der dritten vollziehen. Wir haben mehr als einmal die trefflichen Resultate dieses sinnreichen Mechanismus erprobt.“

„Sie glauben also wirklich, ich besitze soviel Beredsamkeit, daß ich Vorträge improvisiren und mich mit Benjamin Constant und Casimir Perier in Diskussionen einlassen kann?“

„Nichts ist leichter. Denn wenn diese Leute Sie im Namen des Nationalinteresses auffordern, so antworten Sie ihnen mit unserem Marcellus im Namen des Throns und des Altars; wenn jene Einwendungen machen, so rufen Sie zum Schluß, und im Augenblick erheben sich lärmend vierhundert brave Deputirte für Ihren Antrag. (Er sieht auf die Uhr.) Es ist schon zehn Uhr; gehen Sie mein trauter Visatout, und nehmen Sie morgen Besitz von Ihrem neuen Hôtel. Der Staat läßt es Ihnen mit einer Ihrer wichtigen Stellung angemessenen Pracht möbliren. Wir behandeln die Generaldirektoren wie Minister.

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_727.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)