Seite:Das Ausland (1828) 728.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Da unser Direktor des Ackerbaues entdeckt hat, daß Frankreich zu produktiv ist, so ist es billig, daß der Mehrertrag unsern Freunden zu gut kommt. Im Nothfall liegt auch Nichts an einem Defizit von zwei bis dreihundert Millionen. Villele weiß schon Rath zu schaffen, wie es zu decken ist – er ist ein großer Finanzmann. – Ich bin nun im Begriff, Einem unserer Mitglieder eine Audienz zu bewilligen. Es ist der würdige Laurentie, den der Bischof von Hermopolis abgesetzt hat. Letzterer behauptet zwar, es sey diese Maßregel bloß eine heilsame Strenge. Der würdige Laurentie will dieß aber nicht gelten lassen. Da er sich selbst dieses Ausdrucks an einem andern Ort – ich glaube, es war in Bezug auf die Bartholomäusnacht – so passend bedient hat, so beklagt er sich mit Recht, daß man ihm seine Worte ungeschickt verdrehe. Wie dem jedoch seyn mag, wir dürfen unsere Freunde nicht in der Patsche sitzen lassen.“

„Freilich, ein Schach darf Einer schon bekommen, nur nicht matt werden.“

„Adieu, ich höre Laurentie: ich werde Balsam in seine Wunden träufeln und schon Etwas für ihn thun, sey es auch nur, daß ich ihn zum Direktor der Gazette de France oder der Quotidienne mache.“

Die Ereignisse folgen sich rasch. Hr. Visatout, durch sein verdienstvolles Censorat zu den höchsten Ansprüchen berechtigt, der Liebling der Congregation und des Ministeriums, unterstützt durch seine alten Freunde von der Polizei, die Gendarmen, und durch seinen Sohn Herkules, den Präfekten der Normandie, der den Grafen Corbière durch seine Administration dergestalt entzückte, daß S. Exc. dessen vollkommene Ausbildung in diesem Fach selbst übernahm – Hr. Visatout trat in besagter Provinz, die er schon durch seine Geburt geehrt hatte und auf die nun der zweifache Glanz des Vaters und des Sohnes zurückstrahlte, als Candidat auf, und wurde, wie sich von selbst versteht, gewählt.

„Habe ich die Ehre, mit Hrn. Visatout zu sprechen?“

„Sagen Sie lieber, daß Sie die Unverschämtheit haben, mit ihm zu sprechen. Wie keck das gemeine Volk ist, ohne Erlaubniß in meine Zimmer einzudringen! Wer sind Sie?“

„Ich bin der gewesene Oberklatscher des Theaters des Variétés.“

„Was wollen Sie?“

„Ihnen Lektionen geben.“

„Schuft, ich liebe die Räthsel im Munde von deines Gleichen nicht; drücke dich besser aus.“

„Excellenz, um es mit klaren Worten zu sagen und ohne mir zu schmeicheln, ich habe als Generalklatschdirektor im Theater des Variétés, wie ich schon zu melden die Ehre hatte, mit Auszeichnung gedient; ich habe mit Vorbehalt von 30,000 Fr., die mir mein Nachfolger auszuzahlen hatte, abgedankt und ertheile jetzt, auf Verlangen, dem hohen Adel und dem verehrungswürdigen Publikum Lektionen ...“

„Ich wundre mich über meine eigene Geduld, daß ich dein freches Geschwätz anhören kann; wenn du dich nicht im Augenblick fortpackst, so werde ich meine Dienerschaft, meine Leute, rufen und dich laufen lehren, schneller als dir lieb seyn mag.“

„Excellenz, ich gehe nicht weg, ohne meine Sendung erfüllt zu haben.“

„Wenn du nicht durch die Thüre willst, so steht dir das Fenster zu Dienst.“

„Sie sollten einen guten Normann wie mich, nicht so behandeln, da ich zudem gleich Ihnen in der Stadt Vire geboren bin, und wie Sie von dem berühmten Gärber, Mathurin Visatout, abstamme, der auf seine Vetter- und Schwägerschaft so viel gehalten hat.“

„So! Du stammst von einem Gärber ab! Meine Lakaien müssen dir das Fell gärben und die Ohren abschneiden.“

„Ehe Sie es so arg machen, werfen Sie einen Blick auf dieses Handbriefchen.“

Visatout erkannte die Züge des Bruders Doucet; und während er noch liest, zieht er schon an einem Lehnsessel, auf dem er seinen Gast Platz zu nehmen nöthiget. „Ach, ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein Herr; aber warum ließen Sie mich so lange in der Ungewißheit?“

„Warum? Weil ich den Charakter meines Vetters kennen lernen wollte. Ihre Ungeduld, Ihre Hitze, Ihre Drohungen und vor allem Ihre Hartnäckigkeit, mit der Sie Ihren Willen durchsetzen, – kurz, ich sage, Sie gefallen mir. Sie geben ein Muster von einem Deputirten, und hätten einen Intriganten vom ersten Rang sowohl für unsere großen, als kleinen Theater gegeben. – Nun wohlan, mein Vetter, beginnen wir unsere Uebungen, die Zeit ist kostbar, und ich habe heute den Deputirten von Maine, von Gascogne und Bretagne noch mehr als dreißig Vorlesungen zu halten.“

„Entschuldigen Sie mich, mein Herr, wenn ich nicht so ganz verstehe, was für Lektionen das seyn sollen. Der hochwürdige Herr Bruder Doucet, für den ich die unbegränzteste Achung hege, schreibt mir, daß Sie ein Mann seyen, welcher der Congregation Dienste geleistet habe, und fordert mich auf, mich Ihnen anzuvertrauen; – allein, aufrichtig gesprochen, ich kann mir nicht vorstellen, worin die Unterweisung bestehen soll, welche ein Theater-Intrigant einem Deputirten von Frankreich ertheilen kann.“

„So wissen Sie, mein Herr Visatout, daß diese beiden Gewerbe verschwistert sind, daß ein Gesetz in der Kammer sein Spiel erfordert, wie eine Komödie auf der Bühne. In beiden Häusern gibt es ein Parterre mit zwei feindlichen Parteien, die einander gegenüber stehen; dort ruft man: zur Ordnung, hier: die Pfeifen weg, und wo die Oppositionen zu hartnäckig sind, so schreien die Majoritäten: zur Thüre hinaus! Die Gendarmerie ist dann zumal legislativ und dramatisch, sie setzt die Theaterstücke und die Gesetze der Guiraut, der Ancelot, der Corbière, der Peyronnet durch. Ich könnte die Parallele weiter verfolgen, denn ich habe meine Humaniora und meine Rhetorik zu gleicher Zeit und in Einem Collegium mit Dudon studirt. Wir concurrirten um den Preis in der Amplification. Wenn er auch im posaunenden und ballonartig steigenden Stil stärker

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_728.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)