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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

war, so übertraf ich ihn dagegen im Stoß der Perioden; unser Regens prophezeite uns daher, daß wir bestimmt wären, die Leute anzuschnarren, und das Publikum durch unsere Talente auszupfänden. So geschah es auch, daß ich im glanzvollen Theater meinem Platz als Oberklatscher einnahm, während Dudon im gesetzgebenden Körper als Deputirter von Frankreich den seinen. Dieser große Mann hat durch seine Beredsamkeit mehr als einmal bewiesen, daß er eben so gut meinen Platz ausgefüllt hätte, als ich bewies, daß ich dem seinen keine Schande gebracht haben würde. Jetzt, Herr Visatout, ist Ihre Eigenliebe zufrieden gestellt? Glauben Sie, daß Sie ohne Ihrer Würde etwas zu vergeben, von mir Lektionen annehmen können, um ein braver Deputirter zu werden? Erinnern Sie sich, daß Napoleon von Talma die Kunst zu thronen lernte.“

„Sie machen eine judiciöse Anmerkung,“ erwiederte Visatout, indem er sich breit hinstellte und seine Hände in die Hosentaschen steckte, „so geben Sie mir Lektionen, wie Talma sie Bonaparte gab. Bonaparte hatte wohl Recht, sich in der Kunst kaiserlicher Attitüden zu bilden, um sich auf den Thron zu setzen; aber ich wüßte Einen, der ihn die Kunst gelehrt hätte, sich auf dem Throne zu behaupten.“

„Wir beginnen,“ sagte der Theatermann, und setzte sich in die feierliche Positur eines Corporals, der Rekruten excercirt. „Deputirter, aufgepaßt! Man krümmt die Halswirbel, schlägt die Augen nieder! – Sie stehen noch zu gerade, wie ein Deputirter der Linken, statt schief zu stehen, wie ein Deputirter der Rechten! – Sie halten den Kopf zu hoch! Noch etwas niederer! – Nicht schief genug! – Es geht schon besser. – Jetzt stellen Sie sich vor, daß ich der Finanzminister sey: ich komme in die Kammer, voll Vertrauen auf die Ergebenheit meiner guten Freunde, der loyalen Deputirten; jedes Mal gereicht es mir zu einem süßen Vergnügen, wenn sie mich durch ein geheimes kabalistisches Zeichen, das für jeden Andern als für mich unverständlich ist, dieser Ergebenheit versichern. Ein gewisses Lächeln thut diese Wirkung. – Noch weit gefehlt, Herr Visatout! Wenn Sie so mit den Lippen und den Backen lächeln, so sieht es ja Jedermann. Sie müssen mit den Augen lächeln, indem sie den Winkel Ihrer Augenlieder etwa um 10 Grad einziehen: sehen Sie, wie ich. – Jetzt aufgepaßt auf’s Kommando: der Finanzminister tritt in die Kammer, alle treuen Deputirten neigen sich gegen ihn und begrüßen ihn mit einem Feudallächeln. Bravo, Herr Visatout! Sie haben im Augenblicke das Tempo dieses Exercitiums begriffen, das den dicken Sesmaisons und den schmächtigen Laboissiére so viel Mühe gekostet hat. Das Uebrige ist für Sie ein Kinderspiel. – Fahren wir fort. Ein liberaler Deputirter besteigt die Tribüne: ist er abschweifend wie Mechin, so läßt man ihn im Labyrinth seiner Ideen sich verwickeln und nimmt sich wohl in Acht, ihn durch das geringste Geräusch zu beunruhigen: ist es aber ein pedantischer Royer-Collard, der sich nicht begnügt, dem Gesetze mit dem Mikroscope fein in’s Herz zu blicken, sondern der es mit seinem groben dialektischen Messer durchwühlt, dann läßt die Majorität ein dumpfes, mißbilligendes Murmeln hören, dann läßt sie den Ruf erschallen, lang und laut: zur Ordnung, zur Ordnung! zur Abstimmung, zur Abstimmung! Wissen Sie, Herr Visatout, daß dieses dumpfe Gemurmel, wenn es mit gehöriger musikalischer Zusammenwirkung intonirt wird, nie ermangelt, den unbescheidenen Redner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zum Glück sind Foy und Manuel todt, die Sie also nicht mehr zu fürchten haben. Die hätten Einen zur Verzweiflung bringen können; denn nicht das Wogenbrausen der empörten Versammlung, nicht der Unwille, der sich in allen Gebehrden der Royalisten malte, nicht das herrschende Gesicht des Hrn. Präsidenten der Kammer, nicht die donnernde Beredsamkeit des Hrn. Präsidenten des Ministerraths, nicht das Rutschen der Bänke – Nichts machte auf diese liberalen Teufel einen Eindruck.“

 (die Glocke schägt 5 Uhr.)

„Guter Gott, ich rede mich bei Ihnen so in’s Feuer, Herr Visatout, daß ich alle meine andern Deputirten vergesse. In meiner nächsten Lektion lehre ich Sie die verschiedenen legislativen Rufe: der Ruf vive le Roi! wie Sie wissen, geht durch die Fistel, der Ruf vive la France! kömmt aus dem Magen. In den fernern Vorlesungen trage ich Ihnen die transcendentale Harmonielehre des Schlußgebrülls, (hurlement de la Clôture) nebst einem Anhang über die Bauchrednerkunst (hurlement vetru) vor, und beschließe den Kurs mit ein paar praktischen Aufgaben über die ministeriellen Bewunderungs-, Freuden-, und Zärtlichkeitssprünge, welche eigentlich mehr in einem gewißen Trippeln bestehen, womit Sie dem Hrn. Minister am Ende seiner Reden Ihren Beifall zu Theil werden lassen.

Indessen haben Sie hier einen kleinen Constitutionscatechismus, welcher eine ausführliche Auseinandersetzung des gesammten Legislations-Systems enthält. Sie werden in dieser Büchse eine Sammlung Deputirter von Wachs und einen Präsidenten von Blech, und Minister von gebranntem Thon (boue cuite) finden; wenn Sie sich das Uebrige hinzudenken, so haben Sie eine wirkliche Kammer vor sich, und können Ihre Uebungen regelmäßig vornehmen. In Zeit von einem Monat hoffe ich, Ihre Deputirtenschaft fertig zu haben.



Der Herzog von Wellington.

Die Nachrichten, welche vor einiger Zeit der Morning-Herald über die Lebensart und die täglichen Gewohnheiten des Herzogs von Wellington gab, sind in alle deutschen Zeitungen übergegangen und gewiß von allen Verehrern des großen Feldherrn mit Theilnahme gelesen worden; ein anderer englisches Blatt behauptet jetzt, noch genauer unterrichtet zu seyn, als der Morning-Herald, und setzt den Angaben desselben eine Schilderung der gewöhnlichen Lebensweise des Herzogs entgegen, die gewiß an Details Alles übertrifft, was in diesem Fache bisher geleistet worden ist.

Der Herzog von Wellington steht gewöhnlich gegen acht Uhr Morgens auf. Eh’ er aus dem Bette steigt, zieht er seine

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_729.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)