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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Schlafmütze ab; und während er sich ankleidet, pfeift er zuweilen ein Liedchen und flucht bei Gelegenheit auf seinen Bedienten. Der Herzog bedient sich beim Rasiren des Wassers und legt den Seifenschaum dabei dicker auf, als gewöhnliche Menschen. Während er sich rasirt, athmet er gewöhnlich nur durch die Nase, in der Absicht, wie man glaubt, um die Seife nicht in seinen Mund kommen zu lassen; und dann bläst er zuerst die eine Backe auf, darauf die andere, um dem Rasirmesser eine bessere Oberfläche darzubieten. Wenn er angekleidet ist, so geht er zum Frühstück, und während er die Treppe hinabsteigt, bedient er sich häufig dieser Gelegenheit, um seine Nase zu schneuzen, was er äußerst geschwind thut und mit drei schnellen Schlägen mit dem Schnupftuche begleitet, das er dann sogleich in seine rechte Rocktasche steckt. Die Taschen des Herzogs von Wellington sind in den Schößen seines Rockes und ihre Säcke hängen perpendiculär herab; doch trägt er falsche horizontale Seitentaschen, welche der Welt eine irrige Meinung in Bezug auf ihre Lage gegeben haben. Der Herzog trinkt Thee zum Frühstück, den er mit weißem Zucker versüßt und mit Rahm versetzt. Gewöhnlich rührt er die Flüßigkeit zwei oder dreimal mit dem Löffel um, ehe er sie an den Mund setzt. Der Herzog von Wellington ißt geröstete Brodschnitte und Butter, kalten Schinken, Zunge, Hühner, Rindsbraten oder Eier und zuweilen beides, Fleisch und Eier zusammen; die Eier sind gewöhnlich die des gemeinen Haushuhns. Während des Frühstückes hat der Herzog von Wellington ein Tagblatt entweder in seiner Hand, oder auf dem Tische, oder auf dem Schoß. Das Lieblingsblatt des Herzogs von Wellington ist der Examiner. Nach dem Frühstück streckt und dehnt sich der Herzog von Wellington und gähnt einmal. Dann schürt er das Kaminfeuer und pfeift dazu. Wenn kein Feuer im Kamin ist, so tritt er an das Fenster und sieht hinaus. Um ungefähr zehn Uhr kommen die Briefe von der Post. Selten oder nie sieht der Herzog die Aufschrift an, sondern er erbricht sogleich das Siegel und begnügt sich, den Inhalt zu lesen. Der Herzog scheint zuweilen nicht zufrieden mit seinen Correspondenten und sagt: Pschah! mit lauter vernehmlicher Stimme. Um eilf wird, wenn das Wetter gut ist, das Pferd des Herzogs vorgeführt. Das Pferd des Herzogs ist bei diesen Gelegenheiten immer gesattelt und gezäumt. Das Pferd, das der Herzog von Wellington gewöhnlich reitet, ist der weisse Schimmel, dessen er sich bei Waterloo bediente, und der zu Strathfieldsay von den Hunden angefressen wurde. – Ehe der Herzog ausgeht, läßt er sich von einem Diener seinen Hut und seine Handschuhe bringen. Den Hut setzt der Herzog von Wellington auf den Kopf und die Handschuhe zieht er an die Hände. Es ist die Sitte des Herzogs, auf dieselbe Art zu Pferde zu steigen, wie an dem Morgen der ruhmvollen Schlacht von Waterloo. S. Gnaden nimmt zuerst den Zügel in die linke Hand, welche er auf den Sattelknopf legt; dann tritt er mit seinem linken Fuß in den Steigbügel – die Behauptung, daß dieß mit dem rechten Fuße geschehe, sind wir ermächtigt, für eine boshafte Verleumdung zu erklären – schwingt mit einem Sprunge sich hinauf und sein rechtes Bein über den Schwanz des Thieres hinweg und setzt sich so in den Sattel; dann stellt er seinen rechten Fuß in den Bügel, bringt das Pferd in den Trab und fällt, da er ein ausgezeichneter Reiter ist, nie von demselben herunter. Wenn Bekannte und Freunde den Herzog auf der Straße grüßen, so ist seine Herablassung so groß, daß er sich entweder gegen sie verbeugt, oder seinen Hut berührt, oder auf irgend eine andere Weise ihnen seine Aufmerksamkeit erzeigt. Sehr häufig sagt der Herzog von Wellington dann auch wohl: „Wie geht es Ihnen? „Es ist ein schöner Tag!“ „Wie befinden Sie sich?“ oder: „Wie steht es um Ihr Befinden!“ und dann macht er verschiedene geistreiche Bemerkungen über das Wetter, oder den Staub oder Koth, wie es sich gerade schickt. Montags, Mittwochs und Freitags kommt um zwölf Uhr der Lehrer des Herzogs, und unterrichtet ihn in der Staatsökonomie. Der Herzog macht überraschende Fortschritte in seinen Studien, und sein Lehrer pflegt gewöhnlich im Scherz zu sagen: „Der Herzog greift in seinen Kenntnißen um sich, wie ein Haus, das in Flammen steht!“ In dem Staatsrathe thut der Herzog nichts, als denken. Er sitzt auf einem ledergepolsterten Lehnstuhl, seine Fersen und einen Theil seiner Beine auf dem Tisch. Wenn er so in tiefen Gedanken ist, schließt er sehr oft seine Augen ganze Stunden lang und macht ein sonderbares und wirklich grausliches Geräusch durch seine Nase. Der Herzog ist so eifrig in seinen Geschäften, daß er kein Vesperbrod ißt. Der Herzog ist ein strenger Oekonom. Es hat alle Wachskerzen abgeschafft, außer bei den Ministern, und statt derselben Talglicht eingeführt. Er hat befohlen, in den verschiedenen Amtszimmern das Feuer im Winter zwei Stunden früher anzumachen, als sonst, um einen allgemeinen Fortgang in die Geschäfte zu bringen. In dem Hause der Lords war im vergangenen Winter das Verfahren des Herzogs folgendes: Er schritt zu dem Feurungsplatze, wendete seinen Rücken gegen denselben, breitete die Schöße seines Rockes auseinander, indem er sie über den rechten und linken Arm legte, steckte seine Hände in die Hosentaschen, und stand so in aller Bequemlichkeit. Ein characteristischer Zug der Beredsamkeit des Herzogs ist seine Kürze, die so groß ist, daß sie zunächst an Stillschweigen grenzt. Da Kürze die Seele des Witzes ist, so kann man ohne Weiters versichern, daß in dieser Beziehung Canning und Brougham Narren gegen ihn sind.

Examiner.


Sage aus dem Engadein.

Eine alte Chronik des Engadein’s, Cronica Retica, over l’historia dal origine, guerras, alleanzas et auters evenimaints da nossa chiara patria da Nott da Porta, (in Scuol, 1742, 8) enthält folgende merkwürdige romanische Sage über die Bevölkerung dieses rauhen Thales: „Man erzählt, daß zu der Zeit, da Hannibal, der Prinz der Karthager, das römische Reich seinem Untergange nahe brachte, mehrere Edle aus Latium sich dahin zurückgezogen und das Land Ladin genannt haben. Als das Volk sich aber vermehrte und das Thal ihnen zu enge wurde, sahen sie sich genöthigt, dasselbe großentheils zu verlassen und haben durch ihre Tapferkeit zuerst das benachbarte Veltelin, darauf, durch das Glück begünstigt, alle Orte vom Bodensee bis zum Comersee und von den Quellen des Rheins bis Trient unterworfen, so daß ihr Gebiet sich auf 200 ital. Miglien in die Länge und 120 M. in die Breite erstreckte.“ (In Ingadina l’incontra s’craja chia cur Annibal, Princi Cartaginenser, gnoud dall’ Africa hvet quasi sdrût l’imperi Roman, blers nobels or dil Latio in quels tumults s’hajen retrats quà, dil qual sia nommà Ladin, etc.) Sollte in dieser Sage nicht eine Beziehung auf den von Livius berichteten Auszug der Rhätier aus Oberitalien liegen? Daß diese sich später, statt von den Etruskern, von römischen Rittern herleiteten und ihre Einwanderung in Verbindung mit einer wichtigen Periode der römischen Geschichte setzten, ist eine in dergleichen Ueberlieferungen oft wiederkehrende Verwechselung.

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_730.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)