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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Seufzer, den man diesen ganzen verhängnißvollen Tag von ihm gehört hatte.

„Mein Sohn Tormot!“ sagte er, „mein jüngster und theuerster! Aber wenn ich nur Hector rette, so rette ich Alles. – Nun, mein geliebter Pflegsohn, habe ich Alles für dich gethan, was der Mensch vermag, außer das Letzte. Laß mich die Spangen dieser unheilvollen Rüstung lösen und lege dir die von Tormot an, sie ist leicht und wird dir wohl passen. Während du dieß thust, will ich auf diese Krüppel stürzen und ihnen mitspielen, so gut ich kann. Ich hoffe, ich werde nicht viel zu thun haben, denn sie folgen Einer dem Andern wie gelähmte Stiere. Wenigstens, du Liebling meiner Seele, wenn ich nicht im Stande bin, dich zu retten, kann ich dir doch zeigen, wie ein Mann sterben soll!“

Indeß Torquil so sprach, löste er die Spangen von der Halsberge des jungen Häuptlings, in dem einfältigen Glauben, daß er so die Schlingen durchbrechen könne, mit denen Furcht und Zauberei sein Herz umstrickt hatten.

„Mein Vater, mein Vater! o mehr, als mein Vater!“ sagte der unglückliche Eachin, „bleibe bei mir! Dich an meiner Seite, fühle ich, kann ich bis zu meinem letzten Athemzuge fechten.“

„Es ist unmöglich,“ sagte Torquil, „ich will sie aufhalten, wie sie herankommen, bis du die Halsberge angelegt hast. Gott verleihe dir seinen ewigen Segen, du Geliebter meiner Seele!“

Und dann hochschwingend sein Schwert, stürzte Torquil von der Eiche vorwärts mit demselben todbringenden Kriegsruf, der so oft über das blutige Feld erschallt war: Bas air son Eachin! Dreimal ertönten diese Worte mit der Stimme des Donners, und jedesmal, wenn er seinen Schlachtruf ertönen ließ, schlug er einen von den Männern des Clans Chattan zu Boden, auf die er stieß, wie sie sich nach einander gegen ihn heranschleppten. – „Brav gefochten Habicht! Gut geflogen, Falke!“ rief die Menge, als sie die Anstrengungen sah, welche in diesem letzten Moment noch dem Glücke des Tages eine Veränderung drohten. Aber plötzlich wurden diese Ausrufungen zum Stillschweigen gebracht, und es folgte auf sie ein Schwerterklirren, so schrecklich, als wenn in der Person von Heinrich Wynd und Torquil von der Eiche der ganze Kampf von Neuem angefangen hätte. Sie schnitten, stachen, hieben und stießen, als wenn sie heut in diesem Augenblicke zuerst die Klingen versucht hätten. Ihre Erbitterung war gegenseitig; denn Torquil erkannte den schnöden Zauberer, der – wie er meinte – sein Kind durch seine Künste umschlungen hatte; und Heinrich sah den Riesen vor sich, der während des ganzen Kampfes den Zweck vereitelt hatte, um dessenwillen er allein an demselben Theil nahm. Sie fochten mit einer Gleichheit, die vielleicht nicht statt gefunden hätte, wenn nicht Heinrich, schwerer verwundet, als sein Gegner, seiner gewöhnlichen Gewandtheit zum Theil beraubt gewesen wäre.

Inzwischen wurde Eachin, da er sich allein fand, nach einem verwirrten und vergeblichen Versuche, den Harnisch seines Pflegbruders anzuthun, von dem Gefühl der Scham und Verzweiflung ergriffen, und eilte herbei, um seinem Pflegvater in dem furchtbaren Streite bei zu stehen, ehe Andere von dem Clan Chattan herankommen konnten. Als er nur noch fünf Schritte von ihm entfernt war, fest entschlossen, in dem Todeskampfe sein Schicksal zu theilen, fiel sein Pflegevater, von dem Halsbeine beinahe bis auf das Herz gespalten, und mit seinem letzten Athemzuge noch murmelnd: Bas air son Eachin! – Der unglückliche Jüngling sah den Fall seines letzten Freundes und erblickte zugleich den tödtlichen Feind, der ihn über das ganze Feld gejagt hatte, in Schwerteslänge vor ihm stehend und die gewaltige Waffe schwingend, welche durch so viele Hindernisse sich ihren Weg zu seinem Leben gehauen hatte. Vielleicht war dieß genug, seine natürliche Schüchternheit auf ihren höchsten Punct zu bringen, oder vielleicht erinnerte er sich zu gleicher Zeit, daß er ohne schützende Rüstung war, und daß eine Reihe von Feinden, verstümmelt zwar und verkrüppelt, aber darum nicht weniger nach Blut und Rache dürstend, dicht heranrückte. Es ist genug, wenn wir sagen, daß sein Herz ermattete, seine Augen sich verdunkelten, seine Ohren brausten, sein Gehirn schwindelte; jeder andere Gedanke ging in der Furcht vor dem Tode unter, und, nachdem er einen einzigen schwachen Streich gegen den Schmid geführt hatte, vermied er den, der dagegen auf ihn gerichtet wurde, indem er zurückwich; und ehe der erstere seine Waffe wieder erheben konnte, hatte Eachin sich in den Strom gestürzt. Brüllender Schmachruf verfolgte ihn, als er über den Fluß schwamm, obwohl vielleicht nicht ein Dutzend von denen, welche darin einstimmten, unter gleichen Umständen sich anders benommen haben würden. Heinrich sah dem Flüchtlinge nach mit Stillschweigen und Verwunderung; aber er konnte an die Folgen seiner Flucht nicht mehr denken, wegen der Erschöpfung, die ihn zu übermannen anfing so wie die Wuth des Kampfes aufhörte, ihn zu beleben. Er sank auf das grasreiche Ufer nieder und suchte diejenigen seiner Wunden zu stillen, die am Schnellsten strömten.



Vidocq schreibt seine Memoires.

Das Memoirenschreiben ist ein hervorstehender Zug in dem Nationalcharakter der Franzosen; was sie Großes gethan, oder auch, was nicht selten der Fall seyn mag, nicht gethan haben, was ihnen Andere erzählten und was sie selbst erfuhren, – Alles dieß möchten gerne Alle der Welt mittheilen, damit sie über das außerordentliche Menschenkind in Erstaunen gerathe. Bald mit diesen, bald mit jenen Worten erklären sich beinahe alle Memoirenschreiber, wie Rousseau, dahin, daß sie doch ganz anderer Art wären, als die gewöhnlichen Menschenkinder. Sagt doch im Grund genommen der Spitzbube Vidocq nicht mehr und nicht weniger in den folgenden Worten:

„Man wird vielleicht eine Apologie meines Lebens, eine Beichte und wie dergleichen Zeug mehr heißen mag, hier suchen, “

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_737.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)