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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 181 und 182. 29 und 30 Juny 1828.

Fortschritte der Agricultur in Frankreich.[1]


Wenn wir den gegenwärtigen Zustand des Ackerbaues auf der ganzen Oberfläche von Europa betrachten; so können wir uns unmöglich verbergen, daß diese Kunst in unseren Tagen einen Wendepunct erreicht hat, welcher der Anfang einer neue Aera für dieselbe zu werden verspricht.

Der Ursprung unseres alten Agricultursystems verliert sich, gleich so vielen andern Einrichtungen und Institutionen des neueren Europa, in die Nacht des Mittelalters. Der Hauptgrundsatz dieses Systems war die Theilung des Bodens in zwei Theile, von denen der eine dazu bestimmt war, bleibenden Wiesengrund zu bilden, während der andere dem Pfluge unterworfen und seinerseits in zwei oder gewöhnlicher in drei Felder getheilt wurde, von denen nur das eine zum Getreidebau, das andere, als Brachland, zur Vorbereitung des Bodens für den Waizen- oder Roggenbau – worauf dann unmittelbar das Sommerkorn folgte – und endlich das dritte als Gemein-Waide benutzt wurde.

Wie groß auch immer die Fehler dieses Systems seyn mögen, so muß man doch zugeben, daß es den Verhältnissen der Zeit, welcher dasselbe sein Entstehen verdankte, vollkommen angemessen war; einer Zeit, wo der Feldbau sich auf eine sehr geringe Anzahl von Pflanzen beschränkte, die überdieß sämmtlich der Familie der Cerealien angehörten; einer Zeit, wo die ganze Aufgabe des Ackerbauers darin bestand, ein armes Land, das in der Civilisation noch weit zurück, nicht dicht bevölkert und doch bereits zu zahlreich bewohnt war, als daß bloße Viehzucht es hätte ernähren können, mit den unentbehrlichsten Lebensbedürfnissen zu versehen, und dieß auf eine Weise zu thun, welche möglichst wenig Handarbeit erforderte, und von Menschen, die eben so sehr der wissenschaftlichen Bildung, als des Geldreichthums entbehrten, auf das Leichteste ins Werk gesetzt werden konnte.

Gegenwärtig wird dieses alte Cultursystem durch das der Wechselwirthschaft verdrängt, welches bedeutend größere Capitalien und ausgebreitetere Kenntnisse von Seiten des Feldbauers voraussetzt, der dasselbe anwendet, aber auch einen unendlich beträchtlichern Ertrag gewährt, und dessen Hauptgrundsatz die Unterdrückung des bleibenden Wiesengrundes, des Brachlandes und der Gemeinwaiden und die Vertheilung der für den Anbau bestimmten Ländereien in eine sehr verschiedene Anzahl von Feldern ist, auf denen man abwechselnd eine Menge von Gewächsen baut, deren Cultur bei dem alten System der Dreifelderwirthschaft unmöglich war, und von denen die einen unmittelbar die Nahrung des Menschen, die andern Futter für zahlreiches Vieh und die letzten Materialien für Handwerke und Künste liefern.

Die Wechselwirthschaft ist in viel höherem Grade, als die Dreifelderwirthschaft geeignet, allen Bedürfnissen einer Nation nach den verschiedenen Stufen ihrer Bevölkerung, ihres Reichthums und ihrer Industrie zu entsprechen. Die Dreifelderwirthschaft ist unveränderlich sowohl in Bezug auf die Menge, als auf die Beschaffenheit ihrer Producte; die Quantität animalischer Producte, welche sie für die Ernährung des Menschen darbietet, ist sehr gering; so daß bei den Nationen, welche sie angenommen haben, und noch beibehalten, neunzehn Zwanzigtheile der Bevölkerung gezwungen sind, sich fast ausschließlich von Brod zu nähren. Die Quantität des Getreides, das sie hervorbringt, ist, wenn wir einen mittleren Maßstab für eine gewisse Anzahl von Jahren setzen, unveränderlich und keiner Vermehrung fähig, außer durch Mittel, die man außerhalb ihres Gebietes entlehnt; so daß also bei allen Völkern, deren Unterhalt auf diesem Agricultursystem beruht, die Bevölkerung stehend werden muß, und die Industrie keine Fortschritte machen kann, wenn sie nicht die Materialien, deren sie sich bedient, von außen erborgt.

Wir haben bemerkt, daß der Ertrag der Dreifelderwirthschaft, nach dem Durchschnittsertrag einer gewissen Anzahl von Jahren berechnet, unveränderlich derselbe sey; aber wenn wir diesen Durchschnittsertrag nicht in Betracht ziehen, so finden wir, daß der Witterungswechsel einen so großen Unterschied in den Ertrag einzelner Jahre bringt, daß derselbe bald das Doppelte, bald nur die Hälfte der mittleren Production beträgt. Da die Bevölkerung natürlich auf dem Puncte stehen bleibt, wo der mittlere Ertrag ihrem Bedarf entspricht, so sind einige Jahre des Ueberflusses hinreichend, alles Gleichgewicht aufzuheben. Es ist außer Zweifel, daß die Bevölkerung beständig darnach strebt sich zu vermehren, und daß diese Vermehrung keine Grenzen anerkennt, als die, welche durch die Menge der Subsistenzmittel bestimmt werden. Aber die Vermehrung dieser Subsistenzmittel, welche durch zwei oder drei Jahre des Ueberflusses hervorgebracht wird,

  1. Révue Trimestrielle, No. II.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_747.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)