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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das rothe Meer.[1]


Seit Vasco da Gama, das Vorgebirg der Stürme umsegelnd, dem Handel eine neue Bahn eröffnete, verlor das rothe Meer seine Wichtigkeit, nachdem es während des ganzen Alterthums der Hauptverbindungskanal zwischen Morgen- und Abendland gewesen war. Dieser alte Hauptverbindungskanal könnte es von Neuem werden, wenn es möglich wäre, die Landenge von Suez zu durchbrechen. Die Vortheile eines solchen Unternehmens leuchteten Mehemmed-Ali so weit ein, daß er beschloß, vorläufige Untersuchungen über die Möglichkeit desselben anstellen zu lassen. Zuerst dachte man an den alten Kanal des Nechos, von dem noch deutliche Spuren vorhanden sind; aber die Absicht, diesen wieder herzustellen, wurde aufgegeben, weil man fand: einmal, daß er von Suez seine Richtung dem Nil zu, oberhalb Kairo, nimmt, was ein Hinderniß für die große Schifffahrt wäre; zweitens, daß die Periode des günstigen Monsun auf dem rothen Meer nicht mit dem hohen Wasserstand des Nils zusammentrifft.

Bei dem neuen Kanalplan bliebe der Nil ganz aus dem Spiel: man würde einen Paß öffnen, der vom Hafen von Suez ausginge, sich durch ein Thal, welches die Natur ausdrücklich zu diesem Zweck bestimmt zu haben scheint, gegen den See Menzaleh hinzöge und bei Tineh ins Mittelmeer mündete. Da aber Ebbe und Fluth im rothen Meer sehr bedeutend sind, und man befürchtete, der Kanal möchte sich zur Ebbezeit trocken legen, so beauftragte mich der Pascha mit einer Untersuchung des arabischen Golfs. Ein leichtes Schiff, zum Schutz gegen einen Ueberfall der in diesen Gewässern zahlreichen Piraten, welche auf die Mekka-Pilgrime lauern, hinreichend mit Artillerie versehe, wurde zu meiner Verfügung gestellt.

Wenn Ebbe und Fluth ihren Grund in der Anziehungskraft des Mondes haben, der die Mitte des Meers auf Kosten des Rands erhebt, so muß natürlich im rothen Meer, wo kein Zufluß von großen Strömen den Abgang unmittelbar ersetzt, diese Wirkung weit merklicher seyn als anderswo. Während also die Wasser gegen Babel-Mandeb entströmen, bleibt Suez und ein großer seichter Küstenstrich trocken. In dieser Gegend war es, wo Moses, um den Muth seiner Israeliten wieder zu beleben, sein berühmtes Wunder verrichtete. Das durch dreihundertjährige Knechtschaft entartete Volk wandte sich bei dem Anblick der unermeßlichen arabischen Wüste sehnsüchtig nach den Fleischtöpfen Egyptens zurück: da nahm Moses, als geschickter Staatsmann und Kenner der Natur, seine Zuflucht zu einer jener Erscheinungen, worin die unwissende Menge, stets gewohnt, überall den Einfluß einer höhern Macht vorauszusetzen, einen neuen Beweis seiner göttlichen Sendung nicht nur, sondern auch ihrer Pflicht, seiner Leitung sich zu überlassen, nothwendig erkennen mußte.

Wahrscheinlich geschah der Uebergang der Israeliten bei Rondelho, unweit Suez, von wo es nur drei Lieues nach Tohr, gegenüber auf der idumäischen Küste ist. Moses, von Pharao bedrängt, führte hier auf einer Strecke, wo das Meer zur Ebbezeit sich von einem Theil seines Betts zurück zieht, sein Volk hinüber, wobei er den Vortheil hatte, daß die eintretende Springfluth die Egyptier entweder an der Verfolgung hinderte, oder, wenn sie doch nicht nachließen, vielleicht gar ersäufte. Beinahe wäre selbst ein Mann, der ohne Zweifel ein besserer Naturkenner als Pharao und Moses war, Bonaparte, ein Opfer seiner Unvorsichtigkeit geworden, als er eines Tages, während der Ebbe, die sogenannten Mosesbrunnen besuchte.

Etwa vierzig Lieues gegen Süden, an einer gefährlichen, mit Klippen bedeckten Küste hin, gelangt man nach Kosseyr. Die ganze westliche Seite des rothen Meeres stellt eine dürre Fläche dar, über welche einzelne Sandhügel sich erheben, die der Sirocco, der Tyrann der Wüste, nach Gefallen niederweht. Die Berge Defa, Seitieh, Sefada und andere erscheinen, wie zackige Einschnitte, da und dort am fernen Horizont, während von Koßeir aus eine ununterbrochene Gebirgskette zwischen dem Nil und dem Golf fortläuft. Hier in den reichen Marmorbrüchen (abwechselnd rother und grüner Serpentin-Marmor findet sich in allen Bergen) ließen die Pharaone jene ungeheuern Blöcke hauen, welche in Form von Säulen, Sphinxen, Kolossen, Obelisken, Vierecken, alle Städte Egyptens schmückten. Ihren alten Namen el-Abahra (Wagenplatz), verdankt die Gegend vermuthlich der Menge von Wagen, welche dahin kamen, um Steine zu laden, die sie nach dem Nil führten.

Kosseyr ist eine Stadt mit Mauern. Bonaparte beabsichtigte daraus einen Waffenplatz zu machen, für den Fall, daß der Plan, die englischen Besitzungen in Indien vom rothen Meer aus anzugreifen, zur Ausführung käme. Dieser Plan unterblieb; dagegen mußte unter Klebers Verwaltung Kosseyr gegen die Engländer befestigt werden, weil diese Egypten mit gleichzeitigen Landungen im Norden und im Osten bedrohten. In der Folge gab Ibrahims Krieg mit den Wahabi dem Hafen einigen Flor, der übrigens mit dem Augenblick wieder verschwinden dürfte, wo die Araber das Joch Mehemmed Ali’s abgeschüttelt haben werden. Einstweilen dient Kosseyr als Verbindungsort zwischen dem eroberten Land und Kairo. Man sieht daselbst ein viereckiges Fort, aus behauenen Steinen erbaut, und mit Basteien vertheidigt; aber dieses Fort könnte sich, da es von mehreren Anhöhen beherrscht wird, nicht gegen sechs Kanonen halten, die von geschickten Artilleristen gerichtet wären. Ein Felsen, der ziemlich weit in das Meer sich erstreckt, bildet das Hafenbecken: er schützt die Schiffe gegen den Nord und Nordost; die Stadt schützt sie gegen den West.

Wenige Tage vor unserer Ankunft waren die afrikanischen Mekka-Karavanen, die von Kairo aus zusammen reisen, von Kosseyr unter Segel gegangen. Abdulla, Emir Hadschi, d. i. der Fürst der Pilgrime, war hier gestorben. Da der Führer der Karavane Jeden beerbt, der unterwegs

  1. Extrait de mémoires inedits de M. Marbois. Im Journal des Voyages. Mai 1828.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_751.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)