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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Indessen haben wir nicht nöthig, in das frühe Alterthum hinaufzusteigen, um hinlängliche Beweise für die Neigung der Chinesen zu dichterischen Leistungen zu finden. Der verstorbene Kaiser Kien-Long schrieb zu seiner Unterhaltung ein großes episches Gedicht unter dem Titel: Muteden, zwei oder drei andere, ebenfalls von bedeutendem Umfange, und außerdem eine Menge Lieder, Gesänge und Epigramme, welche auf Theetassen noch gegenwärtig im ganzen himmlischen Reiche gelesen werden; und sein unglücklicher Günstling, dessen Reichthum und Einfluß ihm die Ungnade und den Haß seines Thronfolgers zuzog, schrieb den Tag vor seiner Hinrichtung noch Verse im Gefängniß. In dem von Abel Remusat übersetzten Roman Yu-kiao-li finden wir als eine allgemein herrschende Sitte, bei geselligen Zusammenkünften um die Wette zu reimen; und gute Verse zu machen, wird, wie eine schöne Handschrift – oder vielmehr Schriftmalerei – als ein Zeichen der Bildung betrachtet.

Auch kann man nicht leugnen, daß in gewisser Beziehung die ganze chinesische Schriftsprache dem Gebiete der Poesie angehört. Jeder Charakter ist für das Auge ein Bild, für die Seele ein Symbol von dem Gegenstande, welchen er bezeichnen soll. Die chinesischen Schriftsteller selbst, denen man doch wahrscheinlich eine größere Autorität zugestehen wird, als den würdigen Herren Cibot und Grozier, haben über die Poesie ihrer Nation die gesundesten Ansichten. Ein Gelehrter, den Morrison anführt, vergleicht die Poesie seiner Landsleute mit einem Baume: „Der alte Schiking (das Buch der Lieder) war die Wurzel und der Stamm desselben; als Suh-luh blühte, brachen die ersten Sprossen der Blätter hervor; zur Zeit des Kien-nyan belaubte sich der Baum allmälig; während der Dynastie Tang aber ruhte man unter seinem Schatten und pflückte von seinen Zweigen Blüthen und Früchte.“

Nur die dramatische Poesie und das Theater wird von den Gelehrten verachtet und vom Staate, der in einem höheren Grade unter dem Einflusse derselben steht, als dieß je in den civilisirtesten Ländern Europa’s der Fall war, durch Strafgesetze beschränkt. „Theaterstücke (sagt ein chinesischer Philosoph) sind eine Art künstlicher Feuerwerke des Genies, die in der Nacht des Unwesens abgebrannt werden; sie entwürdigen die, welche sich damit beschäftigen, beleidigen das zartfühlende Auge des Weisen, geben eiteln Seelen schädliche Nahrung, gefährden Weiber und Kinder, die nach ihnen sehen, bringen mehr Rauch und Gestank hervor, als Licht, und werden nicht selten Ursache eines gefährlichen Brandes [1].“ Aber wie das Opium, das in dem himmlischen Reiche auf das Strengste verboten ist, dennoch nirgend stärkeren Absatz und Verbrauch findet, als in China, so wird auch das Drama, obgleich die Regierung den Besuch der Theater durch eine Menge Verordnungen erschwert und z. B. allen höheren Beamten völlig untersagt hat, vielleicht von keiner anderen Nation so leidenschaftlich geliebt, als von der chinesischen. In den meisten Häusern der Vornehmen ist eine besondere Halle ausschließlich dramatischen Vorstellungen gewidmet; kein Gastmahl oder Fest wird gefeiert, ohne daß eine Schauspielertruppe die Gäste unterhielte; bei allen öffentlichen Feierlichkeiten werden Bühnen aus Bambusrohr auf den Straßen errichtet, und alle fremde Gesandtschaften werden mit theatralischen Vorstellungen unterhalten [2].

Glaubwürdigen Angaben zufolge sind in Peking allein, so lange sich daselbst der Hof aufhält, einige hundert Schauspielertruppen, welche während der übrigen Zeit von Ort zu Ort reisen. Eine Schauspielertruppe besteht gewöhnlich aus 8–10 Personen, welche im eigentlichsten Sinne des Worts Diener oder Sklaven des Direktors sind. Sie machen ihre Reisen auf bedeckten Barken, die ihnen zugleich – wie dieß in China bei armen Familien häufig der Fall ist – zur Wohnung dienen, auf den Flüssen und Canälen, an denen volkreiche Städte liegen. Wird bei festlichen Gelegenheiten ihre Geschicklichkeit in Anspruch genommen, so überreichen sie dem Festgeber ihr Repertorium, welcher sodann bei der Auswahl des Stückes seine Gäste zu Rathe zieht. Ist die Wahl getroffen, so werden die Personen des Stückes verlesen, und trifft es sich, daß eine derselben zufällig den gleichen Namen mit einem von den Gästen führt, so schreitet man unverzüglich zu einer neuen Wahl.

Wenn das gemeine Volk eine theatralische Unterhaltung zu haben wünscht, so unterschreibt sich eine Gesellschaft zur Deckung der Ausgaben, die indessen gewöhnlich nur unbedeutend sind. In wenigen Stunden ist ein Gerüst aus Bambusrohr errichtet, das die sechs oder sieben Fuß vom Boden erhabene und mit einem Dach bedeckte Bühne trägt. Die Vorderseite derselben bleibt offen, einige Stücke buntes Seidenzeug vertreten die Stelle der Wände. Die ganze Scenerie steht ungefähr auf derselben Stufe mit der des Possenspiels in Shakspeares Sommernachtstraume, oder der des altspanischen Theaters, wie sie Lope de Vega schildert.

(Fortsetzung folgt.)


Van Halen.

Wenn wir in Nr. 180 des Auslandes bemerkten, daß die spanische Ausgabe der Memoiren des Don Juan van Halen keine bedeutenden Vermehrungen enthalte, so ist dieß nicht in Bezug auf die französische, sondern nur auf die englische Uebersetzung zu verstehen, die im v. J. unter dem Titel: Narrative of Don Juan van Halen’s Imprisonment in the Dungeons of the Inquisition at Madrid etc. (2 vols. 8.) bei Colburn in London erschien. In der französischen Uebersetzung (Mémoires de Don Juan van Halen, Paris, 1827, 2 Vol. 8.) vermißt man dagegen die Schilderung fast aller der Verhältnisse und Ereignisse, die den Verf. nicht persönlich betrafen, und wir werden deshalb auf die letzteren in diesen Blättern noch ausführlicher zurückkommen.


  1. Mém. Chin. Tom. VIII. p. 127.
  2. Vergl. Oriental Herald, March 1828 p. 468.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_754.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)