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Es leben so viele und wollen nichts

und sind durch ihres leichten Gerichts
glatte Gefühle gefürstet.

Aber du freust dich jedes Gesichts,
das dient und dürstet.

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Du freust dich aller, die dich gebrauchen

wie ein Gerät.

Noch bist du nicht kalt, und es ist nicht zu spät,
in deine werdenden Tiefen zu tauchen,
wo sich das Leben ruhig verrät.


Wir bauen an dir mit zitternden Händen,
und wir türmen Atom auf Atom.
Aber wer kann dich vollenden,
du Dom.

5
Was ist Rom?

Es zerfällt.
Was ist die Welt?
Sie wird zerschlagen,
eh deine Türme Kuppeln tragen,

10
eh aus Meilen von Mosaik

deine strahlende Stirne stieg.
Aber manchmal im Traum
kann ich deinen Raum
überschaun

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tief vom Beginne

bis zu des Daches goldenem Grate.

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_014.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)