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Von deinen Händen, die sich bergig heben,

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steigt, unsern Sinnen das Gesetz zu geben,

mit dunkler Stirne deine stumme Kraft.


Du Williger, und deine Gnade kam
immer in alle ältesten Gebärden.
Wenn einer die Hände zusammenflicht,
so daß sie zahm

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und um ein kleines Dunkel sind –:

auf einmal fühlt er dich in ihnen werden,
und wie im Winde
senkt sich sein Gesicht
in Scham.

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Und da versucht er, auf dem Stein zu liegen

und aufzustehn, wie er bei andern sieht,
und seine Mühe ist, dich einzuwiegen
aus Angst, daß er dein Wachsein schon verriet.

Denn wer dich fühlt, kann sich mit dir nicht brüsten;

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er ist erschrocken, bang um dich und flieht

vor allen Fremden, die dich merken müßten:

du bist das Wunder in den Wüsten,
das Ausgewanderten geschieht.


Eine Stunde vom Rande des Tages,
und das Land ist zu allem bereit.
Was du sehnst, meine Seele, sag es:

Sei Heide und, Heide, sei weit.

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Habe alte, alte Kurgane,[1],

wachsend und kaum erkannt,


  1. Kurgan: große, aus Erde oder Steinen aufgeschüttete bronzezeitliche Grabhügel im Süden Russlands und der Ukraine.
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_047.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)