Seite:De Beneke Hamburgische Geschichten und Sagen 096.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Des Königs Ohr war zwar gegen die Verläumdungen taub, die Isern Hinriks Neider wider ihn ausstreueten. Aber die Königin gewannen sie damit, daß sie ihr vorredeten, er sei Keiner vom hohen Adel, und nur ein Deutscher Abentheurer. Sie ließ darum, in des Königs Abwesenheit, eine Probe zu, von der die Neider hofften, daß sie ihn verderben sollte. Es hieß nämlich, daß ein Löwe keinen ächt und recht geborenen Fürsten und Herrn verletze; deshalb ließen sie heimlich in der Nacht den großen Löwen des Königs aus dem Zwinger, daß er im königlichen Burghofe frei umhergehe.

Als nun Isern Hinrik des Morgens in der Dämmerung, wie er’s zu thun pflegte, aufstand, um frische Luft zu schöpfen, und nur im Mantel ohne Wehr und Waffen in den Hof trat, da sprang ihn der Löwe ingrimmig an und brüllte fürchterlich. Isern Hinrik aber, unerschrocken wie immer, blickte ihn fest an, hob die Faust etwas gegen ihn und sprach mit ernster Stimme: „Bis stille, bis stille, du frevelicher Hund!“ Und alsobald legte sich der Löwe still und stumm demüthig zu des Grafen Füßen, der ihn dann in seinen Zwinger gehen hieß. Darüber entsetzten sich seine Widersacher, die heimlich auf den Verlauf der Sache Acht gegeben hatten, und von nun an hatte der Graf Frieden vor ihnen.

Andere sagen: er wäre einst, als er mit vielen vornehmen Engländern vor dem Gitter gestanden, freiwillig zu dem Löwen in den Käfig gegangen, sprechend: „Ist Jemand unter Euch von so gutem Adel als ich, der thue mir’s nach,“ hätte dann dem Löwen sein Kränzlein, das er des Hoffestes wegen getragen, auf’s Mähnenhaupt gesetzt, sei dann langsam und ungefährdet wieder herausgetreten, und hätte gesagt: wer von Euch meines Adels ist, der hole mir mein Kränzlein wieder. Aber Keiner hätte sich’s getraut.

Empfohlene Zitierweise:
Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_096.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)