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Tagen vom Heiligen Vater in Audienz empfangen. Ich sah Pius X. zum ersten Mal und erfuhr in den dreiviertel Stunden, die er mir schenkte, in reichem Maße Beweise seiner Herablassung und väterlichen Güte. Ein Gefühl der Befangenheit konnte da gar nicht aufkommen, man mußte sich alsbald daheim fühlen. Ich brachte dem Heiligen Vater die treue Ergebenheit des Klerus und der Gläubigen meiner Diözese zum Ausdruck, worauf er sogleich gütig erwiderte: »De qua (fidelitate) nunquam dubitavimus« (An dieser Treue haben wir niemals Zweifel gehabt). Im Verlaufe der Unterredung kam er auf die Fastenpredigten zu sprechen, die vor ihm gehalten worden waren und in denen der Prediger das Bild eines guten Hirten gezeichnet hatte. In kurzen, prägnanten Zügen stellte der Heilige Vater mir nun dieses Ideal vor Augen. Pius X. sprach das Latein mit großer Leichtigkeit. Die vorgelegten Fragen prüfte er genau und gab dann die Entscheidung, wie das praktische Leben sie erforderte. Als ich ihn zum Schlusse um ein Wort bat, das ich meinen Diözesanen von ihm überbringen könne, antwortete er unverzüglich: »State fortes in fide« (Stehet fest im Glauben).

Noch dreimal sah ich den großen, demütigen Pius X. während meines damaligen römischen Aufenthaltes. In St. Peter fand an einem Nachmittage ein größerer Empfang statt, bei dem der Papst die Segnung des mit Edelsteinen reich geschmückten Diadems vornahm, womit das Bild der Gottesmutter in der Chorkapelle des Kapitels der Basilika gekrönt werden sollte. Eine große Anzahl von Bischöfen und hervorragenden Laien war anwesend, an die der Papst eine italienische Ansprache richtete. Seine Stimme war kräftig und wohltuend, seine Geberden natürlich und voll Anmut, dabei die Aussprache so deutlich, daß ich trotz meiner geringen Kenntnis des Italienischen dem Gedankengange ganz wohl folgen konnte.

Am Feste der Unbefleckten Empfängnis sollte Pius X. selber das Pontifikalamt halten. Lange Wagenreihen brachten in der Frühe Kardinäle und Bischöfe, Diplomaten und sonstige Teilnehmer zur Peterskirche, die in ihren weiten Räumen bald mit Gläubigen

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Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_109.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)