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Auch den betagten Bischof Turinaz von Nancy traf ich nicht mehr in seinem Palais am Stanislausplatze, sondern gleichfalls in einer bescheidenen Privatwohnung. Msgr. Turinaz erwies mir die größte Freundlichkeit, zeigte mir selber die schönen Kirchen der Stadt und führte mich hinaus zu der etwa dreiviertel Stunden vor dem Tore gelegenen Karthause Bosserville, in der der Bischof das Knaben- und Priesterseminar untergebracht hatte, nachdem die Häuser dieser Anstalten von der Regierung weggenommen worden waren. Die größte Schwierigkeit, sagte mir Msgr. Turinaz, bestehe für die Kirche in Frankreich darin, daß sie und ihre Institute nicht als rechtsfähig anerkannt sind. Die Folge davon ist, daß das kirchliche Eigentum, Kirchen, Pfarrhäuser, Schulen usw., die errichtet werden, auf den Namen von Privatpersonen eingetragen werden müssen und darum der hohen Erbschaftssteuer unterworfen sind. Armes katholisches Frankreich, wann wird es ihm gelingen, das Joch der Freimaurerei und des Antiklerikalismus abzuschütteln!

Als Erzbischof Mercier von Mecheln im Jahre 1907 nach Rom reiste, um den Kardinalshut zu empfangen, unterbrach er in Metz seine Fahrt, um mich zu besuchen. Ich erwiderte später diesen Besuch in seiner Bischofsstadt, wo ich bei ihm die herzlichste Gastfreundschaft genoß. Zu Tisch hatte er eine erlesene Gesellschaft von Geistlichen und Laien geladen, darunter die belgischen Minister Renkin (Kolonien) und de Landshere (Justiz). Die geistige Bedeutung des Kardinals Mercier ist bekannt; um so angenehmer empfindet man seine große Bescheidenheit und Einfachheit. Sein Urteil über die damaligen etwas schwierigen Verhältnisse war sehr ruhig und zeugte von großer Weitherzigkeit. Für die deutschen Katholiken hegte er eine ausgesprochene Sympathie; die deutschen Priester waren für ihn das Ideal eines seeleneifrigen, den Zeitbedürfnissen Rechnung tragenden Klerus. Bei diesen Gesinnungen des Kardinals überraschte um so mehr seine Haltung im Weltkriege, obwohl diese in den Verhältnissen unschwer ihre Erklärung findet.

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Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)