Seite:De Die Chinesische Mauer (Kraus) 14.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die göttergleiche Schönheit holt. Wer solche Vorstellung nicht dem eigenen Fühlen einzugliedern vermag, zerschellt den Kopf an diesem Rätsel einer englisch-teuflischen Verbindung, und dem nüchternen Untersucher zerfällt sie in ihre Teile. Die christliche Ethik ringt verzweifelt die Hände, daß es ihr nicht gelingt, die Schönheit, soweit sie dem Leben unentbehrlich ist, durch seelischen Zuspruch zu erhalten. Die große Frage, die offen blieb seit dem Tage, da man der Entsagung auf den Geschmack gekommen ist, mahnt uns, wie uns die Erde mahnt, wenn wir sie durch technische Spiele beruhigt glauben: Wie wird die Welt mit den Weibern fertig? Sie sieht, daß jedes seelische Bemühen flugs das Gegenteil bewirkt, einen seelischen Widerstand, der ein Kuppler der Lust ist. Sie sieht, wie nicht Erziehung die Fehler des Weibes wettmacht, deren rechte Gruppierung doch die Anmut schafft, sondern wie die Fehler des Weibes in jedem Ensemble die Erziehung aufheben. Sie sieht, wie Neugierde allein imstande ist, die ganze Arbeit der christlichen Kultur am Weibe rückgängig zu machen. Sie siehts und kanns immer wieder nicht glauben. Immer wieder dies Staunen über eine Natur, die zwei Geschlechtern nicht mit demselben Maß von Dürftigkeit zugemessen hat; die das Weib geschaffen hat, dem die Lust nur Vorschmack ist der Lust, und den Mann, den sie ermattet. Er fühlts und wills nicht wissen. Er hat

Empfohlene Zitierweise:
Karl Kraus: Die Chinesische Mauer, Leipzig 1914, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Chinesische_Mauer_(Kraus)_14.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)