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gleichem Grunde würde es für die Melipona vortheilhaft seyn, wenn sie ihre walzenförmigen Zellen noch näher zusammenrückte und noch regelmässiger als jetzt machte, weil dann, wie wir gesehen haben, die kreisförmigen Wände gänzlich verschwinden und durch ebene Zwischen-Wände ersetzt werden müssten, wo dann die Melipona eine so vollkommene Wabe als die Honig-Biene liefern würde. Aber über diese Stufe hinaus kann Natürliche Züchtung den Bau-Trieb nicht mehr vervollkommnen, weil die Wabe der Honig-Biene, so viel wir einsehen können, hinsichtlich der Wachs-Ersparniss unbedingt vollkommen ist.

     So kann nach meiner Meinung der wunderbarste aller bekannten Instinkte, der der Honigbiene, durch die Annahme erklärt werden, Natürliche Züchtung habe allmählich eine Menge kleiner Abänderungen einfachrer Naturtriebe benützt; sie habe auf langsamen Stufen die Bienen geleitet, in einer doppelten Schicht gleiche Kreise in gegebenen Entfernungen von einander zu ziehen und das Wachs längs ihrer Durchschnitts-Ebenen aufzuschichten und auszuhöhlen, wenn auch die Bienen selbst von den bestimmten Abständen ihrer Kreise von einander eben so wenig als von den Winkeln ihrer Sechsecke und den Rautenflächen am Boden ein Bewusstseyn haben. Die treibende Ursache des Prozesses der Natürlichen Züchtung war Ersparniss an Wachs. Der einzelne Schwarm, welcher am wenigsten Honig zur Sekretion von Wachs bedurfte, gedieh am besten und vererbte seinen neu-erworbenen Ersparniss-Trieb auf spätre Schwärme, welche dann ihrerseits wieder die meiste Wahrscheinlichkeit des Erfolges in dem Kample um’s Daseyn hatten.

     Ohne Zweifel liessen sich noch viele schwer erklärbare Instinkte meiner Theorie Natürlicher Züchtung entgegenhalten: Fälle, wo sich die Veranlassung zur Entstehung eines Instinktes nicht einsehen lässt; Fälle, wo keine Zwischenstufen bekannt sind; Fälle von anscheinend so unwichtigen Instinkten, dass kaum abzusehen, wie sich die Natürliche Züchtung an ihnen betheiligt haben könne; Fälle von fast gleichen Instinkten bei Thieren, welche auf der Stufenleiter der Natur so weit auseinander stehen, dass sich deren Übereinstimmung nicht durch Ererbung von einer gemeinsamen

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_245.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)