Seite:De Entstehung der Arten 1860 (Darwin) 255.jpg

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verhindern. Diese Meinung hat anfangs gewiss grosse Wahrscheinlichkeit für sich; denn in derselben Gegend beisammenlebende Arten würden sich, wenn freie Kreutzung möglich wäre, kaum getrennt erhalten können. Die Wichtigkeit der Thatsache, dass Bastarde sehr allgemein steril sind, ist nach meiner Ansicht von einigen neueren Schriftstellern sehr unterschätzt worden. Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung ist der Fall um so mehr von spezieller Wichtigkeit, als die Unfruchtbarkeit der Bastarde nicht wohl vorteilhaft für sie seyn und auch desshalb nicht durch fortgesetzte Erhaltung aufeinander-folgender nützlicher Abstufungen der Sterilität erworben seyn kann. Ich hoffe jedoch zeigen zu können, dass Unfruchtbarkeit nicht eine speziell erworbene oder für sich angeborene Eigenschaft ist, sondern mit anderen erworbenen Verschiedenheiten zusammenhängt.

     Bei Behandlung dieses Gegenstandes hat man zwei Klassen von Thatsachen, welche von Grund aus weit verschieden sind, gewöhnlich mit einander verwechselt, nämlich die Unfruchtbarkeit zweier Arten bei ihrer ersten Kreutzung und die Unfruchtbarkeit der von ihnen erhaltenen Bastarde.

     Reine Arten haben regelmässig Fortpflanzungs-Organe von vollkommener Beschaffenheit, liefern aber, wenn sie mit einander gekreutzt werden, nur wenige oder gar keine Nachkommen. Bastarde dagegen haben Reproduktions-Organe, welche zur Dienstleistung unfähig sind, wie man aus dem Zustande des männlichen Elementes bei Pflanzen und Thieren erkennt, während die Organe selbst ihrer Bildung nach vollkommen sind, wie die mikroskopische Untersuchung ergibt. Im ersten Falle sind die zweierlei geschlechtlichen Elemente, welche den Embryo liefern sollen, vollkommen; im andern sind sie entweder gar nicht oder nur sehr unvollständig entwickelt. Diese Unterscheidung ist wesentlich, wenn die Ursache der in beiden Fällen stattfindenden Sterilität in Betracht gezogen werden soll. Der Unterschied ist wahrscheinlich übersehen worden, weil man die Unfruchtbarkeit in beiden Fällen als eine besondre Eigenthümlichkeit betrachtet hat, deren Beurtheilung ausser dem Bereiche unsrer Kräfte liege.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_255.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)