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Diese Ansicht, gegründet auf den zuverlässig bestätigten Verlauf einer früheren Eis-Zeit, scheint mir in so genügender Weise die gegenwärtige Vertheilung der alpinen und arktischen Arten in Europa und Nord-Amerika zu erklären, dass, wenn wir in noch andern Regionen gleiche Spezies auf entfernten Gebirgs-Höhen zerstreut finden, wir auch ohne einen weiteren Beweis schliessen dürfen, dass ein kälteres Klima ihnen vordem durch zwischen-gelegene Tiefländer zu wandern gestattet habe, welche seitdem zu warm für dieselben geworden sind.

     Wenn das Klima seit der Eis-Zeit je einigermaassen wärmer als jetzt gewesen wäre (wie einige Geologen aus der Verbreitung der fossilen Gnathodon-Muscheln in den Vereinten Staaten geschlossen), dann würden die Bewohner der gemässigten und der kalten Zone noch in sehr später Zeit etwas nach Norden vorgerückt seyn, um sich noch später wieder in ihre jetzige Heimath zurückzuziehen; doch habe ich keinen genügenden Beweis für eine solche wärmere Periode, die nach der Eis-Zeit eingeschaltet gewesen wäre.

     Die arktischen Formen werden während ihrer südlichen Wanderung und Rückkehr nach Norden nahezu dem nämlichen Klima ausgesetzt gewesen und, was gleichfalls zu bemerken, in Masse beisammen geblieben seyn; daher sie denn auch in ihren gegenseitigen Beziehungen nicht sonderlich gestört und mithin, nach den in diesem Bande vertheidigten Prinzipien, nicht allzugrosser Umänderung ausgesetzt worden wären. Etwas anders würde es sich jedoch mit unsern Alpen-Bewohnern verhalten, welche bei rückkehrender Wärme sich vom Fusse der Gebirge immer höher an deren Seiten bis zu den Gipfeln hinan geflüchtet haben. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass alle dieselben arktischen Arten auf weit getrennten Gebirgs-Ketten zurückgeblieben sind und dort seither fortgelebt haben. Auch werden die zurückgebliebenen aller Wahrscheinlichkeit nach sich mit alten Alpen-Pflanzen gemengt haben, welche schon vor der Eis-Zeit die Gebirge bewohnten und für die Dauer der kältesten Periode in die Ebene herabgetrieben wurden; sie werden ferner einem etwas abweichenden klimatischen Einflusse ausgesetzt gewesen seyn.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_374.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)