Seite:De Geschichtsauffassung 007.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

oder auf die ihnen geistesverwandten Bernardus Guidonis und Ptolemäus von Lucca zurückführen ließen. Die deutschen Werke hat Ottokar Lorenz einleuchtend gruppiert[1]: im Süden Deutschlands werden vor allem die Martinen gelesen; an sie schließt Jakob Twinger von Königshofen seine Straßburger Chronik, das wichtigste Werk süddeutscher Stadtgeschichtschreibung; hier wird auch durch Hinzufügung eines eigenen lokalgeschichtlichen Teils die erste deutsche Stadtgeschichte geschaffen; im Norden wirkt die Reichhaltigkeit des Vinzenz auf die niederländischen Reimchronisten, sodann – im Verein mit Martin – auf den Westfalen Heinrich von Herford im 14., auf den Lübecker[2] Hermann Korner im 15. Jahrhundert.

Man sieht aus diesen Werken zugleich noch etwas anderes: Wie die Dominikaner und Franziskaner, deren Heimat doch nach dem ursprünglichen Willen ihrer Stifter überall und nirgendwo sein sollte, die eigentlich einheimischen Orden der Städte, die Dominikaner noch insbesondere – in diesem wie in vielem andern die Vorläufer der Jesuiten – die Fürstenbeichtväter und Prinzenerzieher geworden sind, so hat die universalhistorische Richtung ihrer ersten Geschichtswerke das Entstehen einer lokal und zum Teil auch national gefärbten Geschichtschreibung nicht nur nicht gehindert, sondern ihr häufig erst die Grundlage oder den Rahmen geboten. Vinzenz von Beauvais gilt bereits als national-französisch[3], von den ganz nationalistisch denkenden Vorkämpfern des französischen Königtums im 14. Jahrhundert stellt der eine, Pierre Dubois, seine Angriffe unter den Schutz der Bettelorden, der andere, Johann von Paris, ist selbst Dominikaner.[4] Königshofen ist ebenso charakteristisch straßburgisch und elsäßisch wie Korner lübisch und hansisch in dem Umkreis seiner Interessen, und auch deutsch wird man sie nennen dürfen, wenn man sich an Königshofens Geschichtchen: „wie deutsche Sprache sich erhob“ oder an Korners Anfang seiner deutschen Chronik mit „Karl dem Großen von Frankreich“[5] erinnert.

Aber hier liegt zugleich der Mangel und die Schranke dieser Hervorbringungen. Konnte man in den großen Kompilationen weltgeschichtlicher Art oder im Anschluß an die Martinianischen Annalen ebensogut ein Stück über die Abkunft der Slaven wie Nachrichten über den Ausgang Adolfs von Nassau und Albrechts von Österreich, ebenso gut eine Straßburger Stadt- wie eine österreichische Fürstengeschichte[6] unterbringen, so mußte der Trieb zur selbständigen Gestaltung zeitgenössischer oder früherer Geschichte schwinden. Wie in der scholastischen Philosophie jede neue Zufuhr antiken, arabischen

  1. [221] 18) Geschichtsquellen II, 172.
  2. [221] 19) Herre in DZG. IX, 295.
  3. [221] 20) Holder-Egger in M.G.SS.XXIV, 156f. über eine Wolfenbüttler Handschrift, deren Autor, vielleicht ein Kölner Dominikaner, in diesem Sinne gegen Vincenz Stellung nimmt.
  4. [221] 21) Riezler, Die literarischen Widersacher der Päpste 144.
  5. [221] 22) Daß damit nichts über die französische Abkunft Karls des Großen gesagt sein soll, zeigt der lateinische Korner bei Eccard, Corpus historicum medii aevi II, 432: de Franconis Theutoniae oriundus.
  6. [221] 23) Lorenz I, 314, 322; II, 257f.