Seite:De Geschichtsauffassung 008.jpg

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oder jüdischen Stoffes nur das Baumaterial für ein neues Türmchen an dem gotischen Wunderbau abgibt, so ist in der scholastischen Geschichtschreibung eine Stadt- oder Landes- oder Fürstengeschichte nur ein Kapitel der Geschichte der christlichen Welt.

Von hier aus eröffnet sich der Ausblick auf das erste Problem, das sich die Geschichtschreibung stellen muß, welche über die Minoriten hinauskommen will: es ist ein Problem der Form. Sobald sich die kleinen und großen territorialen oder städtischen Gebilde nicht mehr widerspruchslos in den Rahmen der Papst-Kaisermonarchie fügen, muß in ihnen das Bedürfnis nach selbständiger Erfassung und Darstellung ihrer Vergangenheit entstehen. Neben die Weltchronik und die Papst- und Kaiserreihen muß wieder die Einzelschritt treten, ob sie nun eine Biographie oder eine Stadt- oder Landesgeschichte sein will.

Aber mußte der Humanismus kommen um dies Bedürfnis zu befriedigen? Neben den Werken der Minoriten stand ja seit langem eine Geschichtsliteratur aus weltlichen Anschauungen. Sehen wir, was sie geleistet hat.

Eine Laiengeschichtschreibung, und zwar in deutscher Sprache, gab es in Deutschland schon seit den Tagen des hohen Mittelalters. Denn mochte auch der Verfasser des ersten Werkes, das hier in Betracht kommt, der Kaiserchronik, noch ein Geistlicher sein, seiner Auffassung und Darstellungsweise nach gehört er dem Rittertum an und schreibt für Laien.[1]

Man hat die Kaiserchronik und ihre Nachfolger nicht zur Geschichtsliteratur rechnen wollen, weil sie kaum eine in unserem Sinne historische Nachricht enthalten. Aber die Verfasser selbst sind anderer Ansicht:

Manege erdenchent in lugene
unt vuogent si zesamene
mit scophelîchen worten.
nû vurht ich vil harte
daz diu sêle dar umbe brinne:
iz ist ân gotes minne.
· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·
lugene unde ubermuot
ist niemen guot.
die wîsen hôrent ungerne der von sagen,
nû grîfe wir daz guote liet an.

So heißt’s im Prolog der Kaiserchronik. Das geht gegen die Spielleute und fahrenden Sänger, die von den Arimaspen und dem

  1. [221] 24) S. außer Schröders Einleitung vor seiner Ausgabe M. G. Dte. Chr. I ganz besonders Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV, 487ff., wo die historiographischen Gesichtspunkte trefflich herausgehoben sind.