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Magnetberg zu erzählen wissen. Unser Chronist will Wahrheit geben und so beginnt er sein Buch vom römischen Reiche mit Kaiser Julius, der die vier Hauptstämme der Deutschen in hartem Ringen besiegt und mit germanischer Kraft dann die Republik stürzt und die Monarchie begründet. Das stand schon im Annolied, aber an die Spitze einer Kaiserchronik gesetzt und festgehalten war es ein Gedanke, der wohl einen Faden durch die Geschichte des römisch-deutschen Kaisertums geben konnte. Der Autor freilich hält ihn nicht fest. Ihn kümmern die Legenden von Simon Magus und Papst Sylvester viel mehr als etwa die historischen Kämpfe der Deutschen mit den Römern, und wenn er sich bei Karl dem Großen aller Fragen über die translatio imperii entschlägt, so ist es, weil sich ihm auch hier schon alles Historische in dem Nebel legendarischer Überlieferung verflüchtigt hat.

Immerhin blickt daraus noch ein Kaiserbild mit fest umrissenen Zügen hervor. „Rômaere voget und des rîches rihtâre“, „aîn wârer gotes wîgant“[1], das ist Karl und ihm gleichen alle seine rechten Nachfolger. Deren Reihe ist nicht minder fest geschlossen, wie bei den Martinen die der römischen Päpste. Die Kaiserkrone ist niemals anderswo als bei den Deutschen, Konrad I. wird sie stillschweigend, Heinrich I. ausdrücklich zugeschrieben, und wenn auch erst die Wahl der Fürsten, kein Erbrecht den neuen Herrscher macht, so ist doch immer nur einer zum Throne berufen. Die Kaiserchronik weiß so wenig unter Ludwig dem Frommen[2] wie unter den Ottonen etwas von Verwandtenkämpfen im königlichen Haus, und wo aus jüngster Vergangenheit ein Kampf um die Krone zwischen Vater und Sohn nicht verschwiegen werden kann, wie der zwischen Heinrich IV. und Heinrich V., da entrückt die Sage den alten Fürsten in Verschollenheit, um die Wahl des jungen zu begründen.[3] Man sieht, das stammt aus den Anschauungen der ritterlichen Welt, die auf der Treue beruht oder doch zu beruhen wünscht.

Das Bild vom römischen Reich, das die Kaiserchronik entrollte, ist lange Zeit das einzige ungelehrten Lesern zugängliche und auch später noch für einen großen Kreis von Darstellungen das maßgebende gewesen.[4] Aber man darf zweifeln, ob die Abschreiber, Umarbeiter und Fortsetzer sich mehr an der Kaiserreihe ergötzten, als an den novellistischen Einschüben, die schon in der Kaiserchronik selbst den Rahmen zu sprengen drohten und bei den Nachfolgern, wie Jansen Enikel, Ottokar von Steiermark, völlig gesprengt haben. Mochten diese Chronisten die Verwandtschaft mit der lügenhaften Spielmannsdichtung noch so feierlich ablehnen, sie sind doch von gleichem

  1. [221] 25) V. 15074; 15869.
  2. [221] 26) Denn was V. 15318 ff. über den Streit der Söhne König Lothars(!) steht, geht ja wohl auf unklare Nachrichten über die Kämpfe unter Ludwig dem Frommen zurück, ist aber charakteristisch anders gewendet.
  3. [221] 27) So wenigstens, denke ich, läßt sich die nach Schröder (l. c. 3841) hier zum erstenmal auftretende Sage psychologisch erklären. Für die Entstehung der Sage vermag ich einen Fingerzeig zu geben. Über die Schlacht an der Grune, 15. Oktober 1080, in der Rudolf von Rheinfelden fiel, berichten italienische Quellen, z. B. Bonitho, Liber ad amicum: Acerrimo bello commisso Henricus turpiter terga vertit … [Rudolfi] mors Heinrico post octo dies in quodam castro latitanti et de fuga cogitanti nunciata est [Meyer v. Knonau, Jbb. d. dtn. Reichs unter Heinrich IV u. V Bd. III, 649. Daraus macht Platina (Vitae pontificum) zwar erst im 15. Jh., aber sicher einer älteren Quelle folgend: Ferunt Henricum ea clade adeo perterritum fuisse, ut vix decimo septimo die repertus sit, quo quidem tempore Germani Henricum filium eiusdem IV in locum patris suffecerant.
  4. [221] 28) Schröder vor seiner Ausgabe 75ff.