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gleich sind beide in der Ausführung so verschieden, wie nur der theologisch und juristisch gebildete Geistliche von dem immer noch turnier- und fehdefrohen Ritter sein kann. Ist Levolds lateinische Prosa trotz der annalistischen Einschübe aus der Reichsgeschichte schon äußerlich das geschlossenere Werk, so gewinnt die lose deutsche Notizenammlung Eybs durch die Frische in Darstellung und Auffassung, ja vielleicht auch durch die größere Weite des politischen Blicks. Aber wir dürfen bei beiden nicht an die Werke denken, in denen gegen Ende des Mittelalters die ritterliche Geschichtschreibung in Brabant oder in Frankreich mündet. Der Weg, der dort von Jakob von Märlant und den Brabantschen Yeesten zu Eduard de Dynter und hier von den Chansons de geste über Joinville und Froissart zu Philippe de Commines führt, ist von den Vertretern der deutschen ritterlichen Kultur nicht beschritten worden.


Aber vielleicht müssen wir solche Fortschritte entsprechend der so ganz anders verlaufenden politischen Entwicklung Deutschlands auch gar nicht in der ritterlichen, sondern in der städtischen Geschichtschreibung suchen. Die Städte sind ja die eigentlichen Träger der deutschen Kultur seit den Luxemburgern, sie sind moderne Gebilde im Reichskörper, sie erleben in der zweiten Hälfte des Mittelalters fast alle eine tiefgehende innere Umwälzung, die notwendig zur historischen Betrachtung ihrer Gründe, also zur eigentlichen Stadtgeschichte führen zu müssen scheint. – Gehen wir mit solchen Erwartungen an die Menge der stofflich so anziehenden bürgerlichen Geschichtsaufzeichnungen heran, so werden wir enttäuscht. Die städtische Geschichtschreibung, soweit sie von Laien geübt wird, ist aus zwei Quellen erwachsen: dem Geschlechtsbuch und der Notizen- oder Zeitungschronik.[1] Aber weder hier noch dort ist man zu einer Stadtgeschichte gekommen. Schreiben Männer aus dem Volke, wie der Augsburger Burkard Zink, so fehlt ihnen der Überblick, Patriziern wie dem Nürnberger Ulman Stromer verschließt der Brauch der Stadt den Mund, wenn sie ja den Wunsch hätten, von der Stadt „rate und geheim“ zu reden. Die Zunftrevolutionen bezeichnen allerdings Einschnitte in der städtischen Geschichtschreibung: in Augsburg, Köln, Braunschweig und anderswo knüpfen sich daran teils selbständige Aufzeichnungen offiziellen Charakters, teils Anfänge neuer annalistischer Aufzeichnung. Aber nirgendwo ein Zurückgreifen auf Früheres, ebensowenig späteres Zusammenfassen oder eine Nachforschung nach den tieferen Gründen der Umwälzung!

  1. [222] 34) S. darüber Hegel im 1. Bande der St. Chr.; dazu Lorenz I, 12ff. und geistreiche Beobachtungen bei Nitzsch, Gesch. d. dtn. Volkes III2, 144 ff. Meine Erörterungen für Augsburg und Nürnberg im Meisterlin 4ff., 152ff. Dazu Alemannia XXII, 1 ff.