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sind die Stellen des Buchs, in denen es der Geschichtschreiber dem Kirchenmanne abgewinnt. Da ist vor allem die Darstellung der Anfänge des Hussitentums, in der die Bewegung in ihre Faktoren zerlegt ist: der Wiklifismus, den Hieronymus von Prag aus England bringt, der nationale Gegensatz zwischen Deutschen und Czechen, das „Waldensertum“, endlich die Kelchfrage, dieser Punkt als der wichtigste absichtlich von den andern abgerückt. Aber dies alles genügt Enea nicht um etwas so Ungeheures zu erklären, auch auf Seite der Kirche muß gefehlt worden sein, und so gibt er dem harmlosen Prager Erzbischof Albik die Züge seines zuchtlosen Nachfolgers. Kein böhmischer Chronist hat so viel Überblick über den Zusammenhang der Ereignisse, kein auswärtiger so viel Einblick.[1]

Im weiteren Verlauf der Darstellung fällt uns Eneas Schilderung der kriegerischen Ereignisse auf. In den Einzelheiten ist vieles unrichtig, aber immer erhalten wir ein lebendiges, oft auf örtlicher Anschauung[2] beruhendes Bild. Was die hussitische Wagenburg für die Erfolge der Empörer bedeutet, wird hervorgehoben, die Absonderung der Adelspartei richtig eingereiht und besser als etwa von dem Prager Kollegiaten[3] begründet; und trotz aller Verwünschungen, mit denen Enea das Wüten Ziskas und der beiden Prokope begleitet, läßt er keinen Zweifel darüber, daß er ihre Feldherrntüchtigkeit erheblich höher anschlägt, als die des Königs Sigismund.[4]

Aber am merkwürdigsten ist es nun doch, wie vom Jahre 1436 ab die religiöse Frage in der Darstellung Eneas überhaupt zurücktritt. Kein Wort von den Bemühungen Cusas und Carvajals die Böhmen zur Kirche zurückzuführen, auch Capistran erscheint erst im Zusammenhang der Türkenkriege, ja sogar Eneas eigene Disputation mit Podiebrad und den Taboritenhäuptern im Jahre 1451 findet in der böhmischen Geschichte keine Stelle. Das Thema des Geschichtschreibers ist ein eminent politisches: der Kampf der großen Barone von Ungarn, Österreich und Böhmen um die Person des Ladislaus, die Tragödie des jungen Königs, deren Katastrophe Enea auch künstlerisch abhebt[5], und endlich das Aufsteigen der aufgerückten Könige, Matthias Huniady und Georg Podiebrad. „Welch wunderbare Veränderung der Dinge“, schließt er, „welch unerhörter Sternenlauf! Zwei mächtigste Königreiche, zu gleicher Zeit ihres Herrschers beraubt, fallen vom edelsten und höchsten Stamm an Männer niederen Standes. So war es Gottes Wille; das Altertum hätte gesagt, ein Spiel des Zufalls. Wir schreiben alles der Fürsicht Gottes zu. Es gibt Leute, die beide Königswahlen verdammen, es sei Zwang gebraucht

  1. [227] 54) Für die Böhmen mag Laurenz von Brčezowa dienen, der (Fontes rer. Austriacarum Abt. I, Bd. II, 323) als eifriger Kalixtiner nur die Kelchbewegung nennt, für die deutschen Thomas Ebendorfer, der (Chron. Austriae bei Pez, SS. rer. Austriacarum II, 846) das nationale Element gar nicht erwähnt und seine Darstellung durch eine törichte Hereinziehung der Adamiten und Ziskas zerreißt. [228] Wenn Enea selbst die Kelchfrage in ähnlicher Weise zeitlich vorschiebt, so entspricht das nur der allgemeinen Auffassung.
  2. [228] 55) S. z. B. die Schilderung Tabors im Briefe an Carvajal, die Hist. Bohem. cap. 40 wieder verwertet ist.
  3. [228] 56) Gedruckt in SS. rer. Hussitarum I, 81.
  4. [228] 57) Hist. Bohemica cap. 39 ff.
  5. [228] 58) Hist Bohemica cap. 69 Schluß. Eine Totenklage auf Ladislaus auch in der Germania.