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hat sie deshalb nicht weniger als viermal gezeichnet und jedesmal anders.[1] Sicherlich zum Teil auf Grund neuer Mitteilungen, aber wir sehen auch, wie sich die Vorstellung von dem ungewöhnlich, aber nicht makellos schönen Weibe, das seinen Reizen durch allerlei Mittel nachzuhelfen sucht, zu der einer mannstollen Intrigantin und schließlich einer heidnischen Hexe verändert. –

Was uns an der Böhmischen Geschichte und auch an andern historischen Werken Eneas das Interessanteste ist, der Subjektivismus in der Beurteilung der Menschen und Dinge, die Gelegenheitschriftstellerei in höherem Sinne, wie er sie treibt, das haben die Zeitgenossen kaum bemerkt. Für sie ist die Böhmische Geschichte die erste deutsche Landesgeschichte, die den humanistischen Stil, das „condimentum scripturarum“, zeigt. Deshalb wird sie abgeschrieben und nachgeahmt. – Viel tiefer ist die Wirkung der „Germania“. Durch sie hat Enea fast wider Willen diejenige Art des deutschen Patriotismus begründet, die den deutschen Humanismus, wenigstens in seiner ersten Periode, beherrscht.

Schon wenn er 1445 den deutschen König zur Romfahrt begeistern will und die Bedenken derer widerlegt, die Italien als das Grab deutscher Manneskraft bezeichnen, findet er Argumente, die seltsam im Munde des Italieners klingen,[2] noch mehr, wenn er auf dem Türkentag zu Frankfurt 1454, um den Deutschen die Ehre des Vorkampfes gegen die Ungläubigen schmackhaft zu machen, ihnen erzählt, daß auch Cäsar und Augustus ihre Vorfahren nicht hätten bezwingen können.[3] Aber die „Germania“, mit der er 1458 die Klagen Martin Mayrs über die Aussaugung der Deutschen durch die römische Kurie widerlegen will, hat noch eine ganz andere Bedeutung.[4]

Als in den Tagen des hohen Mittelalters deutsches Nationalgefühl durch Walter von der Vogelweide zum erstenmal zum bewußten Ausdruck kam, da richtete es sich auf ein doppeltes Deutschland: das politische, das ist das „Reich“, wie es die Staufer zusammengefügt hatten, von der Nordsee bis Sizilien und von Burgund bis zur Ostsee reichend, und das „völkische“, wenn man so sagen darf, das Land, in dem des Dichters Lied als heimisch empfunden wird, und wo er selbst deutsche Sitte findet. Walter hat auch seine Grenzen bezeichnet:

von der Elbe unz an den Rîn
und her wider unz an Ungerlant

heißt es in dem berühmten Spruche von Deutschland. – Das „Reich“ versinkt, als politische Einheit im alten Sinn auf immer, das Schicksal der Nation hängt daran, ob auch der Volkszusammenhang verloren


  1. [228] 64) Die Stellen aufgezählt bei Ilgen, Gesch. Friedr. III., S. ix.
  2. [228] 65) Pentalogus bei Pez, Thesaurus anecdotorum IV, 3 S. 714.
  3. [228] 66) Ep. 131 der Ed. Basilea. Hier auch schon der in der Germania wiederkehrende Gedanke von der Ausbreitung des Deutschtums seit den Römerzeiten.
  4. [228] 67) Über die Ausgaben Voigt im AÖG. XVI, 420 Nr. 555. Daselbst das Datum: Rom 1. Febr. 1458. Der Brief an Mayr vom 8. Aug. 1467 (ibid. Nr. 478-Ed. Basilea 369) bietet bereits die Disposition des ganzen Traktats. Eine vervollständigte Ausgabe nach der Originalhandschrift stellt Wolkan in Aussicht (AÖG. XCIII, 2, 391 ff.).