Seite:De Geschichtsauffassung 041.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

später als St. Justina entstandenen Kongregationen von Bursfeld und Melk. Landschaftlich ergänzen sich diese drei in der Art, daß Bursfeld vor allem am Rhein, Main und Niederdeutschland, Melk auf Österreich und Bayern bis zum Lech wirkte, während Schwaben unter dem direkten Einfluß von St. Justina stand.

Die sittlichen Erfolge dieser Reformation sind damals so wenig wie zu andern Zeiten von erheblicher Dauer gewesen, aber für den Betrieb der Wissenschaften begann in den reformierten Klöstern in der Tat eine neue Zeit. Es war, wie wenn man aus einem langen Schlafe erwacht war und nun versuchen müsse, den Faden da wieder anzuknüpfen, wo ihn Unwissenheit und Trägheit hatte fallen lassen. So wurde man zurückgeführt auf die großen Zeiten der Benediktinergelehrsamkeit unter den Saliern und den ersten Staufern, wo Ekkehard und Otto von Freising Geschichte schrieben, oder gar auf die Zeiten der Karolinger, wo man in Fulda und St. Gallen die Alten nicht viel anders gelesen und geschätzt hatte, als es nun die Humanisten zu fordern schienen. Es war nicht schwer eine Verbindung von dieser neubelebten Klostergelehrsamkeit zu den humanistischen Bestrebungen zu finden, und der Geschichtschreibung vor allem mußte sie zu gute kommen. Wir haben drei Männer zu nennen, deren Werke dies beweisen, Sigismund Meisterlin in Augsburg, Felix Fabri in Ulm, Johann Trithemius in Würzburg.[1]


Die Entwicklung der Augsburgischen Geschichtschreibung vom Mittelalter zum Humanismus hin ist nicht ohne besonderes Interesse. Zwar die Annalistik des Domstifts verstummt schon in den Stürmen des Investiturstreits, in Ulrich und Afra, der bedeutendsten klösterlichen Gemeinschaft, ist um dieselbe Zeit Abt Uodalscalk auf lange hinaus der letzte Geschichtschreiber von Namen. Aber um 1250 regen sich neue Kräfte. Es entsteht – doch wahrscheinlich hier – „der künege buch“, eine Bearbeitung der Kaiserchronik, wichtig als ein frühes Werk deutscher geschichtlicher Prosa. Hundert Jahre später wird in Augsburg ein Martinus übersetzt und mit Fortsetzungen versehen. An ihn knüpft, nachdem durch den Zunftaufruhr von 1368 die bürgerliche Geschichtschreibung auf die Bahn gebracht ist, Erhard Wahraus seine Aufzeichnungen an, der erste bürgerliche Geschichtschreiber der Stadt, den wir mit Namen kennen.

Wahraus aber hat noch weitergehende Interessen. Er wünscht etwas vom Ursprung seiner Vaterstadt zu erfahren, womöglich ein Gründungsjahr. Das bieten seine historischen Quellen nicht, wohl

  1. [229] 8) Für die nächsten Abschnitte muß ich auf meine ausführliche Arbeit über Sigismund Meisterlin verweisen (im folgenden als: Meisterlin zitiert).