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durch eine andere, die Verstärkung der Überlieferung über ein ebenso fabelhaftes Ereignis – erscheint zunächst weder neu noch humanistisch. Und doch würde man mit dieser Kritik Meisterlin wenig gerecht werden. Nicht das Ergebnis, sondern die angewandte Methode ist hier bedeutsam. Meisterlin verwirft die Meinung Küchlins, weil er ihm aus Ekkehard und Otto von Freising chronologische Widersprüche nachzuweisen vermag, – an solche knüpft sich hier wie anderswo die erste Regung der Kritik – sodann weil es für die Augsburger keine Ehre sei, von diesen Flüchtlingen abzustammen. Seine eigene Hypothese aber beruht auf einem Vers der Römeroden des Horaz, der die Vindelicier mit ihrer „Amazonenstreitaxt“ bei den Siegen des Drusus erwähnt. Diesen Brauch will er erklären, und er findet in dem Fabelwust der Amazonenzüge nach Asien und Europa leicht Raum auch für einen nach Schwaben. Und als er nun zweifelnd Bestätigung dieser Kunde sucht, da führt der gute Zufall Enoche von Ascoli, den Papst Nicolaus V. auf literarische Entdeckungsfahrten nach Deutschland ausgesandt hatte, in sein Kloster. Beide zusammen finden in der Dombibliothek den Kommentar des Porphyrio zum Horaz und hier in dem gar alten Ausleger die willkommene Bestätigung der Nachricht.

Man wird bei allem Unterschied eine Ähnlichkeit in dem Verhältnis Meisterlins zu Küchlin mit dem Brunis zu Villani nicht verkennen, nur daß freilich den Italiener bei seiner Gründungsgeschichte von Florenz Kritik und kühle Überlegung in die Zeiten gesicherter historischer Kunde hinab, den deutschen Mönch Lokalpatriotismus und phantastischer Sinn in die Nebel uralter Sage hineinführt.

Auch die Geschichte von der „Varusschlacht bei Augsburg“ hat Meisterlin gläubig hingenommen, wie nach ihm noch viele Humanisten. Denn er fand hier keine chronologischen Widersprüche in seinen Quellen, im Gegenteil, bei Sueton und Vegetius noch mancherlei Bestätigung und Ausschmückung der Begebenheit. Zur historischen Wahrheit ist er nirgendwo durchgedrungen, aber er sucht mit allen Mitteln eine klare Vorstellung von jenen alten Zeiten zu gewinnen. Sueton und Sallust, Lukan und Claudian werden ebenso wie die Etymologien des Isidor von Sevilla eifrig exzerpiert, und was er aus ihnen gewinnt, ist eine erste Schilderung des alten Deutschlands und der alten Deutschen. Denn schon für Meisterlin erweitert sich die Stadtgeschichte zur deutschen Geschichte, und vielleicht hätte er, so sagt er, sein Werk nicht geschrieben, wenn das Buch des Plinius von den deutschen Kriegen erhalten geblieben wäre.