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was nun nach langem Mühen entsteht, ist wieder eine Stadtchronik, scheinbar alten Stils, aber mit ganz besonderem Inhalt.

Ich habe bei der Magdeburger Schöppenchronik darauf hingewiesen, wie der Verfasser, ein Stadtkind und mit den Lebensfragen des Gemeinwesens aufs innigste vertraut, doch in Abhängigkeit von dem annalistisch überlieferten Stoffe bleibt. Es gelingt ihm nicht, Dinge, die er selbst für wichtig erkannt hat, an ihrer richtigen Stelle und in der richtigen Beleuchtung erscheinen zu lassen, da er dazu in Anordnung und Auswahl der Begebenheiten gänzlich Neues hätte geben müssen. Für Nürnberg hat das der stadtfremde Mönch geleistet, ja er hat zu Gunsten der von ihm erkannten verfassungsgeschichtlichen Fragen der historischen Wahrheit, auch wie er sie kannte und kennen mußte, Gewalt angetan. Mit höchster Energie strebt seine Darstellung darnach, die Punkte ins Licht zu setzen, auf denen nach seiner Meinung die Bedeutung des Nürnberg seiner Tage beruht. Deshalb muß Nürnberg eine Römerkolonie sein, die schon zu den alten römischen Kaisern im Verhältnis der Treue, aber nicht unter dem Steuerdruck der Provinzialen steht; es ist schon zur Zeit Ottos I. die „aptissima sedes imperii“, wie in aller Folgezeit, es ist weit älter als die Burggrafen, deren „römischen Ursprung“ er gerade so bestimmt verwirft, wie er den der Stadt behauptet; es ist endlich ein durchaus aristokratisches Gemeinwesen, dessen Blüte und Reichtum ausschließlich auf den Geschlechtern beruht, und deshalb ist der Zunftaufruhr von 1348 nichts als die Erhebung einer katilinarischen Rotte, für deren Schilderung dann auch Sallust die eindruckvollsten Farben leiht.

So entsteht ein Werk ganz eigener Art, historisch fast unbrauchbar, aber die erste politische Tendenzschrift im geschichtlichen Gewande, die der Humanismus hervorgebracht hat. –


Felix Fabri ist wahrscheinlich ein wenig jünger als Meisterlin und ist später schriftstellerisch hervorgetreten.[1] Er ist Schweizer von Geburt, aber Schwabe durch Schicksal und Neigungen, gehört dem Dominikanerorden, seit 1477 oder 1478 als Lesemeister zu Ulm, an, steht aber ganz im Anschauungskreis der Benediktinerreform, die gerade er uns besonders anschaulich geschildert hat, und von der er eine allgemeine Veränderung der klösterlichen Sittlichkeit herleitet.[2] Von der Predigtpraxis seines Ordens hat er die Neigung für das Volkstümliche, das Beobachtungstalent für kleine und kleinste Züge, die Freude an der Anekdote, besonders wenn sie wunderbar oder wunderlich ist.

  1. [229] 9) Ausgabe des Evagatoriums von Haßler i. d. BLVStuttgart Bd. II–IV, des Tractatus de tivitate Ulmensi von Veesenmeyer ebd. Bd, CLXXXVI. Die „Historia Suevorum“ bei Goldast, Rerum Suevicarum SS. Edit. II. Ulm 1727. Die auf die [230] Schweiz bezüglichen Teile daraus in den Qn. z. Schweiz. Gesch. Bd. VI von Escher mit Kommentar und angehängten Lebensnachrichten. Über das Handschriftenverhältnis Leidinger im NA. XXIII, 248 ff. Fabris Bedeutung für die Volkskunde gewürdigt bei Erich Schmidt, Deutsche Volkskunde im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Eine abschließende Untersuchung fehlt.
  2. [230] 10) Katholik Jg. 1860, S. 200 ff.