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Ein wunderliches Menschenkind ist vor allem er selbst, eine merkwürdige Mischung der verschiedensten Eigenschaften und Bildungselemente. In den Jahren 1480 und 1483/4 macht er zwei Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande und beschreibt die zweite in einem umfänglichen Evagatorium, der größten und belehrendsten Pilgerschrift, die wir besitzen. Als 12. Kapitel soll ihr eine Beschreibung oder, wie er es bescheiden nennen möchte, ein „Umriß“ von Deutschland, Schwaben und Ulm folgen. Unter der Hand wächst ihm die Arbeit zu einem eigenen stattlichen Buche mit selbständigem Plan – zum ersten Mal führt die Durchwanderung der Fremde zu einer Beschreibung der Heimat.

Eigene Anlage und äußerer Anstoß wirken da zusammen. Fabri ist ein Pilger ganz besonderer Art. Wir haben viele Berichte vom heiligen Land, dem einen ist dies, dem andern jenes besonders merkwürdig gewesen, aber keinen gibt es, der so überall das Bewußtsein seines Volkstums mit sich herum trägt, wie dieser Dominikaner. Wo Deutsche sind, die sich in Künsten oder Handwerken hervortun, als Krieger oder Kaufleute eine Rolle spielen, da hat er es bemerkt, und wie er nun den Zug der Alpen, die Italien von Deutschland scheiden, wieder sieht, da bricht er in die Worte aus:[1] „O wie freute ich mich im Herzen, mein Deutschland zu sehen. Einst war es an Weisheit, Macht und Reichtümern arm, jetzt aber ist es an herrlichen Werken nicht nur andern gleich, sondern es übertrifft das geschwätzige Griechenland, geht voran dem stolzen Italien und drückt zu Boden das händelsüchtige Frankreich. Wie wahr ist doch das Dichterwort: Süß ist die Heimat, und läßt uns ihrer nicht vergessen … Und zu meinem Reisegefährten sagte ich: Seht Herr Johannes, jetzt erblicke ich die Schwelle meines Heimatlandes, denn die Berge, die wir hier vom Meere aus sehen, die betrachten meine Brüder im Ulmer Konvent von den Fenstern ihres Schlafraums und sehen sie bei klarer Luft täglich.“

Den äußeren Anstoß zu seiner Arbeit über Deutschland gaben ihm vor allem die Werke des Enea Silvio. Die Germania hat er offenbar nicht gekannt; aber an der Europa, die schon 1488 gedruckt vorlag, bildet er – neben den Karten des gerade in Ulm mehrfach gedruckten Ptolemäus – seine geographischen Vorstellungen, ihr entlehnt er weiterhin große Stücke.[2] Er nennt diese Quelle nicht, so wenig wie manche andere, die ihm für Historisches dient, da er ihnen ja nur Tatsächliches entnimmt, und das ist Gemeingut. Aber wo er für den Ruhm seiner Deutschen streitet, da muß der Papst

  1. [230] 11) Evagat. III, 371.
  2. [230] 12) Zuerst gesehen von E. Schmidt 38, doch ist dort zu Unrecht von Zitaten aus der Europa gesprochen.