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Blättern wir aber im Evagatorium, so finden wir gegen den Schluß eine Stadtbeschreibung Venedigs. Auch sie ist, wie er selbst sagt, aus verschiedenen Beschreibungen zusammengestellt und dann durch eigene Beobachtungen ergänzt. Aber wir lesen doch ganz etwas anderes, als die trockenen Aufzählungen der Reliquienschätze, welche sonst für die Pilger in der Stadt San Marcos die Sehenswürdigkeiten bildeten, oder die Angaben über Schiffslöhne und Fahrgelegenheiten ins heilige Land, wie sie noch dem Nürnberger Patrizier Hans Tucher genügten. Und auch wenn wir die berühmte Reisebeschreibung Bernhard Breidenbachs dagegenhalten, die Fabri kennt und häufig rühmt, so findet sich dort nicht mehr als eine wenig ins einzelne gehende Lobrede auf Venedig. Fabri aber bietet eine weit ausgreifende, mit einer Fülle von Einzelheiten, vor allem aber mit historischen Rückblicken ausgestattete Beschreibung. Er schließt mit ein paar begeisterten lateinischen Versen auf die Größe Venedigs, die „einer von unsrer Schar“, wir dürfen wohl sagen, er selbst gemacht hat, und sagt dann: „Die Stadt findest du aufs schönste und genaueste abgebildet in dem Reisebuch des ehrwürdigen Herrn Bernhard von Breidenbach, eine Beschreibung aber von ihrem Ursprung bis auf die Gegenwart im schmuckvollsten Stil bei M. Antonius Sabellicus in seinen Res Venetae ab urbe condita.“[1]

Also wieder ein Italiener, der dem Deutschen die Feder geführt und ihn so wohl auch für seine eigene Vaterstadt sehen gelehrt hat.

Wie weit nun freilich der Humanismus dabei mitgewirkt hat, ist nicht leicht zu sagen. Fabri weiß wohl, daß sein Stil den Anforderungen der neuen Schreibart nicht entspricht und bemerkt, daß sein Evagatorium bei den Priestern nur Spott finden werde, die statt der Evangelien und Propheten Komödien lesen und Liebeslieder im Versmaß der Hirtendichter singen, den Virgil hochhalten und sich an dem Pomp rhetorischer Wortfügungen ergötzen.[2] Tritt er in Venedig in die Kirche seines Ordens, SS. Giovanni e Paolo, so wundert er sich, an den Grabmälern des Pietro und Giovanni Mocenigo den Kampf des Herkules mit der Hydra, nackte Kämpfer und nackte geflügelte Knaben und viel solche Zeichen des Heidentums mitten unter den Symbolen der Religion des Erlösers zu sehen. „Die einfachen Leute meinen“, sagt er, „es seien Heiligenbilder, und verehren den Herkules als Simson, die Venus als Magdalena und so die andern.“ Wenn er dann nach Athen kommt, so fällt ihm wohl ein,[3] daß hier Plato und Demosthenes gelehrt haben, aber über diese stellt er doch den Dionysius Areopagita und lacht über die Torheit des Altertums,

  1. [230] 18) Für Breidenbach und sein Verhältnis zu Fabri s. Heyd in ADB. III, 285. Die Schrift des Sabellicus, De situ Venetae urbis scheint Fabri nicht benutzt zu haben.
  2. [230] 19) Evagatorium I, 6.
  3. [230] 20) l. c. III, 209.