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weil er – genau wie die gleichzeitige Briefstellerei – seine italienischen Vorbilder abschreibt, statt sie nachzuahmen. Das tut, wie wir sahen, Murrho und Wimpfeling noch ebenso wie Luder, Matthias von Kemnat und Meisterlin. Sodann, weil er die neuen Gedanken nicht zu Ende zu denken wagt. Der Gedanke des Trithemius vom Königreich Germanien konnte sich mit dem Brunis von der Unterbrechung des Kaisertums vergleichen, er hat keine Folgen gehabt, ebensowenig Wimpfelings Idee von der germanischen Urkraft. Auch als die geringschätzige Äußerung des Tacitus über die germanischen Erfolge Cäsars[1] zu wirken anfängt, bleibt das römische Reich der Koloß, dem zu dienen sich die Deutschen zur Ehre schätzen müssen. Deshalb vor allem bleibt Biondos Darstellung der Völkerwanderung so lange für die deutsche Geschichte unfruchtbar; für Sebastian Brant ist ein Zusammenhang einleuchtender, der an die Germanenzüge als ganz gleichbedeutend die Sarazeneneinfälle in Europa und später die Ungarnstürme anschließt.[2]

Doch dies wird auch in der nächsten Generation nicht durchaus anders. Der entscheidende Unterschied liegt in der Anschauung von der Bedeutung der Quellen.

Die Fortschritte in der Ausdehnung des Quellenbegriffs, die wir bei Biondo wahrnehmen, sind auch bei den Deutschen früh zu erkennen. Schon Meisterlin sammelt römische Inschriften. In Nürnberg, Mainz, Worms entstehen Münzsammlungen aus historischem Interesse. Wimpfeling weiß Urkunden zu verwerten, die „Epigrammata“ in Kirchen und Klöstern erscheinen der Abschrift und Sammlung wert. Aber bei der Einfügung des neuen Materials in die Überlieferung scheitert diese Generation.

Wenn Enea Silvio den Otto von Freising findet und benützt, so ist er für ihn, wie Jordanes und Paulus Diakonus für Biondo, eine zeitgenössische Quelle von bestimmter Eigenart, die er dann auch sogleich treffend ausspricht[3]; es wird ihm nicht einfallen, aus ihm und Gregor Hagen ein Ganzes zu machen. Für Meisterlin ist er ein Autor, wie andere auch, und Wimpfeling, der seine Pläne ihn herauszugeben mit kritisch sein sollenden Bemerkungen über den barbarischen Stil der Quelle begleitet[4], entnimmt ihm schließlich nicht mehr als die Geschichte von der Varusschlacht bei Augsburg. Die Quellen, die Meisterlin auf seiner Bibliotheksreise findet, sind ihm meist „Eusebii“, deren es in jeglichem Kloster Sankt Benedikten Ordens einen gibt.[5] Das Carmen de bello Saxonico gibt bei Wimpfeling eine magere Erwähnung, und doch war es ein „deutsches Heldengedicht“, wie der


  1. [238] 138) Germania cap. 37: mox ingentes C. Caesaris minae in ludibrium versae. Vgl. z. B. Wimpfelings Epitome cap. 3: nihil tamen memoria dignum actum invenio, quam quod ponte Galliam Germaniamque coniunxit.
  2. [238] 139) Brant, De vita et conversatione bonorum regum 130: De causis amissionis terrae sanctae. Vgl. meine Arbeit über Meisterlin 182.
  3. [238] 140) Voigt, Enea Silvio II, 312.
  4. [238] 141) Wimpfeling an Celtis. Speier 1496 jan. 4 gedruckt bei Knepper, Wimpfeling 339 f.
  5. [238] 142) St. Chr. III, 82.