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Ligurinus, der ein paar Jahre später die Humanisten in einen Taumel des Entzückens versetzte.

Mit den antiken Autoren steht es nicht besser. Wir sahen schon, wie die kleinen Kaiserbiographien für Matthias von Kemnat eine Chronica Sparciana sind; sie helfen ihm so wenig aus den alten Fabeleien heraus, wie den Villani Sueton und Sallust. Die Germania des Tacitus wird von Deutschen zuerst bei Meisterlin in seiner Descriptio Sueviae erwähnt. Da nennt er das Buch De situ Europae.[1] Fabri lernt sie nach der ersten Bearbeitung seiner Beschreibung Deutschlands kennen, er verwertet sie in Zusätzen, die mit Auszügen aus Gotfried von Viterbo und dem Katholikon des Johannes Januensis verbunden sind.[2] Damals hatte Campano schon längst seine Regensburger Rede gehalten, er und Beroaldo haben dann wenigstens Wimpfeling besser sehen gelehrt. Aber vor dem Ammianus Marcellinus, wo ihm keiner half, steht Wimpfeling ebenso ratlos. Nicht einmal Julians Alemannenschlacht bei Straßburg hat er hier gesehen.

Ein Abwägen der Quellen gegen einander kann auf dieser Stufe der Anschauung noch nicht stattfinden. Stößt man auf Widersprüche, so sucht man zu ändern oder zu tilgen, um die „concordia chronicarum“ herzustellen, stößt man auf Neues, so reiht man es an das Alte ohne die Widersprüche zu sehen; so haben alle diese Werke mehr oder weniger den Charakter der Kompilation.

Aber das Merkwürdigste ist wohl, daß auch das Durchstöbern der Bibliotheken zu soviel geringeren Ergebnissen führt, als die Arbeit der nächsten Generation an denselben Stellen. Doch davon wird noch ausführlicher zu reden sein.

In all diesen Punkten nimmt Trithemius eine Sonderstellung ein. Er liebt den neuen Stil nicht so, daß er für eigene Gedanken fremden Ausdruck sucht. Wie gleichgiltig und verständnislos er im Grunde dem Kultus der Form gegenübersteht, das zeigen seine Urteile über den Stil der Autoren, von denen er in den Katalogen spricht. Aber eben deshalb hindert ihn auch kein ästhetischer Schauder vor der Barbarei früherer Zeiten zu den Quellen selbst vorzudringen. Deshalb sieht er – ebenso wie zwei Menschenalter vorher der ihm in diesem Punkte ganz verwandte Cusa – in den Bibliotheken, was die andern nicht sehen, er stellt die Quellen in ihre Zeit und Umgebung.

Aber gerade bei ihm zeigt sich, daß die neue Form mehr als etwas Äußerliches war. Bleiben die anderen Scholastiker, weil sie die neuen Ziele mit der alten Methode zu erreichen suchen, so bleibt es Trithemius, weil er ein neues Ziel sich nicht zu stecken vermag.


  1. [238] 143) Abgedruckt in meiner Arbeit über Meisterlin 300 f.
  2. [238] 144) Die Ergänzungen sind von Veesenmeyer im Anhang zu dem Tractatus de civitate Ulmensi abgedruckt. Fabri zitiert: Tacitus de vita et moribus Germaniae.