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wissen nichts von dem Buche, als was Melanchthon davon erzählt[1], und so sind es dii minorum gentium, die auf den Plan treten: der Nürnberger Arzt Hartmann Schedel und der Tübinger Universitätskanzler Johann Nauklerus.

Hartmann Schedel[2] ist geistig ein Kind des Humanistenkreises, der sich in Augsburg um Sigismund Gossembrot und seinen Vetter Hermann Schedel gebildet hatte. Von ihnen hat er den Sammeleifer, dem wir die größte uns erhaltene Bibliothek frühhumanistischer Handschriften und Drucke verdanken, und die brennende Begier, sich des neuen Stils zu bemächtigen, die doch bei ihm, wie bei jenen, zu nichts weiter als zum wörtlichen Abschreiben seiner Vorbilder führt. Sein Vetter hat ihn auch nach Italien gewiesen, damals immerhin noch eine Tat, die gegen Andersdenkende verteidigt werden mußte. Doch wird man schwer besondere Interessen angeben können, die Hartmann hier gewonnen hätte, wenn man nicht seine Sammlung von Inschriften hervorheben will, mit der er sich in der Geschichte der Altertumswissenschaft einen Platz erworben hat.[3] Auch darin aber ist er kaum selbständig, die Söhne des alten Gossembrot und besonders Sigismund Meisterlin dürften ihm den Weg gezeigt haben.

1484 kehrt Schedel dauernd nach seiner Vaterstadt als Physikus zurück, und hier erscheint 1493 das einzige Werk, das mit Recht seinen Namen trägt[4], die Liber chronicarum betitelte Weltchronik.

Doch müssen wir wohl dies Buch ebenso sehr aus der geistigen Entwicklung Nürnbergs wie aus der seines Verfassers zu erklären suchen. – Nürnberg ist in mehr als einer Beziehung das deutsche Venedig, wie Augsburg das deutsche Florenz. Länger als anderswo klopft in diesem aristokratisch-konservativen Gemeinwesen der Humanismus an verschlossene Türen.[5] Die ihn pflegen, sind Fremde, wie Heimburg und sein Kreis. Geben sich Einheimische damit ab, so stehen sie einsam oder doch den offiziellen Kreisen fern. Auch die Pirkheimer wird man nur wie die Giustiniani in Venedig betrachten können. Die Geistesrichtung der Stadt geht aufs Praktische, man schätzt die Mathematik, auch die Geographie, die neue Redeform aber bleibt lange verdächtig. Im Geschichtlichen hängt man am Alten. Noch 1459 entsteht, wie wir sahen, in der Kanzlei eine durchaus mittelalterliche Weltchronik, daneben, doch wohl auf Heimburgs Anregung, eine ganze Reihe von Übersetzungen alter Annalen und Chroniken, die dem Bürgertum, vielleicht auch dem Meistersingertum zugute


  1. [241] 37) S. die Stelle aus der Rede Melanchthons auf Agrikola bei Wegele, Gesch. d. dtn. Historiographie 471.
  2. [241] 38) Für das Biographische R. Stauber, Die Schedelsche Bibliothek (Studien u. Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte ed. Grauert VI, 2 u. 3), wo auch die ältere Literatur. Für die Chronik M. Haitz, Hartmann Schedels Weltchronik (Diss. München 1899).
  3. [241] 39) S. De Rossi, Dell’ opus de antiquitatibus di Hartmanno Schedel (Memorie dell Instituto di correspondenza archeologica Lips. 1865, T. II, p. 501).
  4. [241] 40) Was ihm noch bei Potthast2 1001 zugeschrieben wird, sind Auszüge oder Abschriften. Daß er auch den Auszug aus der deutschen Weltchronik (St. Chr. III, 257 ff.) schwerlich verfaßt hat, suchte ich (Meisterlin 1584) wahrscheinlich zu machen. Auch der bei Stauber 94 beschriebene Abschnitt des Liber antiquitatum: Laus et preconium nobilissime Germanie ist Kompilation. Was Stauber übersetzt, ist aus Campanos Türkenrede. Die Äußerung des Trithemius, der die Weltchronik inter alia ingenii sui opuscula erwähnt, ist eine bei diesem übliche Phrase.
  5. [241] 41) Max Herrmann, Die Rezeption des Humanismus in Nürnberg hat mit diesem Nachweis lokalpatriotische Entrüstung erregt. (Ähnliches in Venedig s. Burckhardt, Kultur der Renaissance9 I, 317.) Ernsthaftere Einwendungen scheint A. Reimann, Pirckheimer-Studien (Diss. Berlin 1900) S. 9 erheben zu [242] wollen, doch liegt hier nur ein Inhaltsverzeichnis einer erst zu erwartenden Arbeit vor.