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die einzige vor dem Bekanntwerden der ersten sechs Bücher der Annalen des Tacitus. Sie ist noch ohne Huttensche Herzenstöne gegeben, obgleich man sieht, wie die Florusstelle mit ihrer Gegenüberstellung der verderbten Römer und der kraftvollen Germanen Nauklerus paßt. Daneben steht die Widerlegung der „Varusschlacht bei Augsburg“ aus Strabo.[1] – Aber der Chattensieg des Domitian ist in einer annalistischen Schlußbemerkung abgetan, die Markomannenkriege sind nach Orosius erzählt, so daß das Regenwunder die Hauptsache ist. Denn in diesen Zeiten interessieren Nauklerus fast am meisten die theologischen Streitfragen, die er mit unverhältnismäßiger Ausführlichkeit, aber selten mit eigenem Urteil behandelt.

Die deutschen Dinge werden ihm erst wieder bei den Origines der einzelnen deutschen Stämme wichtig. Und hier gewinnen wir näheren Einblick in seine kritische Methode, den besten bei den Erörterungen über den Ursprung der Franken.[2]

Er gibt sie bei Valentinian, unter dem die durch Ekkehard populär gewordene Form der Trojanersage die Franken aus den mäotischen Sümpfen an den Rhein hatte wandern lassen. Dagegen hat er Zeugnisse, welche die Franken schon unter Aurelian und Probus in Deutschland kennen. Mit diesen wäre die Bahn frei für Fabeleien von vorchristlichen Gründungen der Franken in Gallien und Germanien, wie sie ein schon von Gaguin bekämpfter Franzose brachte. Autoren wie Jakob von Bergamo und vor allem Annius von Viterbo mit seinem Pseudoberosus, dem er, wie wir sehen werden, sonst häufig vertraut, treten dem zur Seite. Aber hier lehnt Nauklerus sie ab, für ihn entscheidet, daß Cäsar, „der vor Christi Geburt Gallien aufs sorgfältigste beschrieben hat“, Strabo, „der überaus sorgsame Beobachter aus der Zeit des Oktavian“, Tacitus und Ptolemäus kein Wörtlein von den Franken wissen.

Zum ersten Mal siegt hier in einer deutschen Geschichtsdarstellung des Humanismus die zeitgenössische Quelle über die Tradition. Und dabei bleibt es, obgleich Nauklerus sich nachträglich noch mit Jordanus von Osnabrück auseinanderzusetzen hat.[3] Er fühlt wohl, daß dessen Erörterungen eine patriotische Tendenz zugrunde liegt, aber es ist nicht sein Patriotismus.

Wie dieser beschaffen ist, das zeigt das wichtigste Stück der Chronik, die Erörterung über Deutschland.[4]

Sie steht bei der Kaiserkrönung Karls des Großen. Veranlassung dazu ist also bei Nauklerus wie bei Schedel das Vorbild des Jakob von Bergamo. Nur ist Schedel unkritisch genug, auch seine Erörterung


  1. [244] 67) I, 190b: Haec acta sunt in Suevia apud Augustam secundum aliquos. Strabo in VII vult haec acta in terra Cheruscorum et quidem verius. Vgl. II, 120b. Hier noch der Zusatz: Strabo in IV scribit Varronem quendam eo (sc. Augustam Vindelicorum) missum ab Augusto Caesare, qui gravi affectus sit clade, cum urbem obsedisset. Sed mihi ea legenti et tempora et scriptores conferendi videntur. Deshalb wohl erscheint Nauklerus im Tacituskommentar Althamers noch als Vertreter der alten Ansicht.
  2. [244] 68) II, 47b.
  3. [244] 69) Er nennt ihn nicht, doch geht auf ihn f. 48b: Haec illius scriptoris dicta, quisquis sit, eo tendunt, quasi persuadere velit, Germanorum simul et Francorum nomen in Gallia sumpsisse exordium. Er kommt auf die gleiche Quelle noch einmal f. 117b zurück und sagt: Pulchrum inventum, sed pace salva, cum examinatur, invenitur fabulosum nec aliqua veterum autoritate fultum.
  4. [244] 70) T. II f. 116b–119.