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bei Otto I. stehen zu lassen, trotzdem er doch die Auffassung des Italieners von einer Translatio imperii a Francis in Germanos sicher nicht teilt.[1] Nauklerus weist diese Auffassung ausdrücklich mit juristischen Deduktionen zurück[2] und zieht die Folgerungen für die Anordnung des Stoffes: bei ihm beginnt die deutsche Reichsgeschichte mit Karl dem Großen.

Im Inhalt seiner Ausführungen aber ist Nauklerus weder von Schedel[3] noch von Jakobus abhängig; er ist ganz originell. Er stellt seiner kleinen Abhandlung eine Übersicht vorauf; sie soll acht Abschnitte enthalten: de origine nominis, de situ Germaniae, de qualitate glebae, de populis Germaniae, de dignitate gentis, de illustribus gestis, exhortatio, de priscis moribus.[4] Also etwa das Thema Wimpfelings[5], aber es ist kaum ein Punkt, in dem Nauklerus nicht über ihn und alle seine Vorgänger hinausgekommen wäre.

Bei der Namenserklärung hatten die Früheren zwischen der Ableitung Strabos: Germani = fratres Gallorum und der des Enea Silvio: Germani a germinando nach Neigung gewählt. Naukler betont, daß beides Bezeichnungen seien, die das Ausland den Deutschen gegeben habe, und stellt dagegen die einheimische Bezeichnung, die „Tuitschen“, die er nach Tacitus und Berosus von Tuisko ableitet. Hier schon wird deutlich, warum Naukler und mit ihm so viele andere der Fälschung des gelehrten Dominikaners erlegen sind.[6] Nicht nur, daß er keinen Widerspruch zwischen der Fälschung und dem Tacitus zu finden vermag, weil sie eben mit Benutzung des Tacitus gearbeitet ist, sie bietet ihm auch als willkommenen Ersatz für die alten genealogischen Fabeleien, die er verwerfen muß, neue, die der Nation ein mindestens ebenso ehrwürdiges Alter geben. Zugleich aber hindert sie ihn nicht, seine Hauptthese zu verfechten, die er beim fünften Punkte ausspricht, daß die Germanen Ureinwohner auf ihrem Boden und ein unvermischtes Volk seien. Zum ersten Male gewinnt diese Ansicht des Tacitus in einem deutschen Geschichtswerk grundlegende Bedeutung.

Was sodann die Geschichte der römischen Kaiserzeit noch vermissen ließ, das findet sich hier, eine Zusammenstellung der Kriegszüge germanischer Stämme unter dem Gesichtspunkt deutscher Geschichte. Sie beginnt, wie billig, mit dem Keltensturm von 390 v. Chr., denn Naukler las in seinem Liviusexemplar, wie alle Zeitgenossen, von einer mitziehenden manus Germanorum.[7] Erst Glarean hat das in Cenomanorum geändert. Sie faßt die Völkerwanderung als germanische Bewegung, in der auch Franken und Angelsachsen berücksichtigt sind, – nur die Gothen fehlen auch hier, so lange hat es nachgewirkt, daß


  1. [244] 71) Er hat allerdings auch da Jakobus getreulich ausgeschrieben.
  2. [244] 72) F. 118b f.
  3. [244] 73) Er kennt die Chronik und zitiert sie z. B. II, 148 als Chronica nova Norimbergae impressa.
  4. [244] 74) In Wirklichkeit werden es 10.
  5. [244] 75) Ein merkwürdiger Anklang an die Epitome Wimpfelings findet sich f. 120b, wo Nauklerus die von Wimpfeling cap. 4 gebrachte Tacitusstelle (Germania cap. 37) hat und dann gerade wie Wimpfeling fortfährt: Quae laus maior dici potest, quam quod homo Romanus linguaque Romana de Germanis triumphos actos esse, vere autem nunquam victos fuisse [asseverat] nisi quantum benevolentia ac benignitate in fidem Romanae nobilitatis ducti sunt? Sollte Nauklerus die 1505 erschienene Schrift noch benutzt haben?
  6. [244] 76) Bebel scheint hier etwas kritischer gewesen zu sein, s. Cohortatio Helvetiorum Bogen I 3. Weiteres oben S. 161 ff.
  7. [244] 77) Livius V, 35 s. den kritischen Apparat bei Weißenborn.