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das Jesuskind auf dem Arme, das nackt mit einer Traube spielt und dem sich von rechts die drei Weisen aus dem Morgenlande nahen, einen Prachtpokal, eine Casette und ein Weihrauchschiffchen, auf dem ein Affe kauert, darbietend. Links steht Maria zunächst s. Joseph, Stab und Hut in den Händen, und an dem folgenden, äusseren, nördlichen Pfeiler S. Stephanus, der Kirchenpatron, in reichem Diakonengewande mit seinem Attribut, den Steinen auf dem von ihm gehaltenen Evangelienbuche.

Die Figuren der beiden Schmalseiten korrespondiren mit einander und zwar sind zunächst die Stadtpatrone links (nördlich) Protasius mit dem Schwert, rechts Gervasius mit dem Rest eines Schlegels dargestellt, worauf auf beiden Seiten an der Wand die Eltern Mariae folgen, nördlich der h. Joachim, südlich die h. Anna. Jene an den Eckpfeilern etwas tiefer angebrachten Figuren stellen links (nördlich) die h. Barbara mit Krone, dreifenstrigem Thurm und Kelch, und rechts die h. Katharina dar, ebenfalls bekrönt und am Sockel mit Resten eines Attributs, vielleicht eines Rades, ausgestattet.

An der östlichen Wand des Lettners finden sich innen über den drei Oeffnungen die Wappenschilde der Stadt (fünf silberne Berge in rothem Feld), Vorderösterreichs (weisser Querbalken in rothem Felde) und des Reichs (schwarzer Doppeladler in goldenem Feld) angebracht, während aussen, auf der Seite des Chors, auf den beiden Zwischenpfeilern, getragen von Konsolen und bedeckt von Baldachinen, eine Verkündigung derart dargestellt ist, dass auf dem einen der Mittelgewände Maria, auf dem anderen der herabschwebende Engel Platz gefunden hat, während in der Mitte von oben, vom Scheitel des Fensters, Gott Vater in Wolken herabschaut.

Das ganze Werk ist ein Meisterstück spätgothischer Steinmetzkunst, ruhig, klar und gross in Anlage und Gruppirung, überraschend und oft beinahe beängstigend zierlich in dem aus dem hellgrauen Sandsteinmaterial flott und frei ausgearbeiteten Detail. Der Meister müssen es aber gleichwohl mehrere gewesen sein, die an dem Bauwerk schufen; dafür sprechen, abgesehen von den verschiedensten Steinmetzzeichen, vor Allem die Unterschiede in den figürlichen Darstellungen, welche mindestens zwei Hände erkennen lassen, von denen die eine durch Hervorheben einzelner, mit wenigen Meisselschlägen hervorgehobener charakteristischer Züge zu wirken bestrebt war, die andere durch sorgfältiges Ausarbeiten und weiches Abrunden.

Zeitlich möchte ich dies Werk, das in dem düstern Dunkel der schwerfälligen, romanischen Gewölbe, unterstützt durch das helle Material, mit all' seiner leichten, graziösen Zierlichkeit doppelt anmuthig und fröhlich wirkt, in die Jahre vor 1497 setzen, also vor die Errichtung der Reliquiennische des Hochchors.

Denn jene lässt in Allem, in der Wahl des Materials, in der Profilirung, in der Gestaltung der Krabben und Baldachine, in der Anordnung der seitlich der Nische aufgestellten Figuren, ja in den Heiligengestalten selbst, so sehr die befangene Nachahmung erkennen, dass angenommen werden muss, der Meister habe begeistert von dem eben vollendeten Werke des Lettners daran studirt und versucht, allerdings mit geringeren Kräften, die ihm durch die 1496 erfolgte Fertigstellung des silbernen Reliqiuenschreins gewordene Aufgabe in ähnlicher Weise zu lösen. Und da der Chor nach dem Baudatum der Sakristei von 1494 wohl gegen 1495 im Rohbau beendet gewesen sein mag, der Lettner aber wohl kaum viel früher in Angriff genommen worden ist, so ergiebt sich für dessen Erbauung mit grosser Sicherheit die Wende der Jahre 1495 bis 1496.

Empfohlene Zitierweise:
Franz Xaver Kraus: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden. Band 6. Jacob Christian Benjamin Mohr, Tübingen und Leipzig 1904, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kunstdenkm%C3%A4ler_Baden_6_065.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)