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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Sokrates eine so übermüthige Handlung von ihm nicht verschweige. Aber mir gehts jetzt wie einem, den eine Viper gebissen hat. Nur mit solchen, die auch gebissen worden sind, spricht er von seinem Zustande, weil sie die einzigen sind, die aus eigner Erfahrung den Schmerz kennen und es verzeihlich finden, daß man sich alle nur erdenkliche Mittel erlaubt, sich davon zu befreien. Verwundet von einem weit empfindlicheren Stachel am allerempfindlichsten Theile, dem Herzen nämlich oder der Seele, oder wie man ihn sonst nennen will; getroffen nämlich und verwundet durch die Wahrheiten der Philosophie, die weit schmerzlicher als eine Viper stechen, wenn sie ein junges noch unerfahrnes Herz treffen, gegen die man kein Mittel unversucht lassen kann – vor mir einen Phädrus, einen Agathon, einen Eryximachus, einen Pausanias, einen Aristodem, einen Aristophanes und – soll ich nicht auch den Sokrates selbst und die übrigen in die Zahl derjenigen mitrechnen dürfen, die den Ausbruch einer solchen philosophischen Raserei aus Erfahrung kennen? – vor euch also kann ich meine Geschichte erzählen, denn euch wird meine damalige Unternehmung und meine jetzige Erzählung gleich verzeihlich scheinen. Die Domestiken, und wer sonst in diesen Geheimnissen fremd und uneingeweiht ist,

der mag die Ohren sich mit großen Thüren verschliessen!

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_374.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)