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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

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      Schlaue Kunst, mit Grazie verbunden,

War, was ich an dir natürlich pries,
War das Netz, wovon in jenen Stunden
Sich mein Herz so leicht umgarnen ließ.
Wahrheit sprach in Mienen und Geberden;

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Wahrheit in der Stimme Silberlaut; –

Konnt’ ichs ahnden, so getäuscht zu werden!
Selbst ein Engel hätte dir getraut. –

     Wonneahndend, wie vom niedern Staube
Psyche den entbundnen Fittich hebt,

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Und empor nur Amaranthenlaube

Ihrem Liebling in die Arme schwebt,
Eil’ ich mit der Sehnsucht heissem Schmachten,
Langentbehrte! deinen Fluren zu;
Jedes Glück hieß Liebe mir, verachten;

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Denn mein Eines höchstes Glück warst du!


     Dein Entzücken, das mir Blick und Miene,
Das die innige Umarmung log,
War Grimasse, Gaukelspiel der Bühne,
Das im Rausch der Wonne mich betrog.

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Bleich vom Kummer sah ich deine Wangen;

Doch sie waren nicht um mich gebleicht;
Neuer Liebe folterndes Verlangen
Hatte ihre Rosen fortgescheucht.

     Wo sind nun die schöngeträumten Plane,

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Meiner Phantasieen Feenland?

Schlösser, aufgebaut im Fieberwahne,
Auf der Weibestreue Uferland.
Hingeschwunden mit des Blitzes Schnelle;
Leicht, wie Träume der Vergangenheit

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Weggegaukelt von der Launen Welle;

Weggeweht vom Hauch der Eitelkeit.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_111.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)