Seite:De Standesherrliche Rechtsverhältnisse (Großh Hess)(1820) 132.jpg

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h)
Der, auf solche Art ernannte, Vormund übt alsdann alle vormundschaftlichen Rechte sowohl in Ansehung der Personen als des Vermögens seiner Pflegbefohlenen aus. Bei allen, auf das ihm anvertraute Vermögen sich beziehenden Verfügungen, handelt er im eigenen Namen, unter ausdrücklicher Bemerkung seiner vormundschaftlichen Eigenschaft. Er nimmt sämmtliche, zur Verwaltung des gedachten Vermögens angestellte Räthe und Beamten in seine Pflichten, läßt sich von diesen jährlich Rechnung ablegen, ist aber selbst, nur nach geendigter Vormundschaft, und zwar seinem ehemaligen Pflegbefohlenen, auf dessen Verlangen, zur Rechnungs-Ablegung verbunden; es sey denn, daß er wegen übler Verwaltung angeklagt würde.
Findet eine solche Klage statt, oder würde Unser Oberappellations-Gericht auf andere Weise im amtlichen Wege von Mängeln in der vormundschaftlichen Verwaltung in Kenntniß gesetzt, so hat dasselbe vorerst sämmtliche, ihm zugekommene Anzeigen der Vormundschaft zu ihrer Rechtfertigung vollständig mitzuteilen, und – jedoch mit Vorbehalt der, für das Intresse des Minderjährigen etwa erforderlichen conservatorischen Maasregeln – nur dann, wenn es diese Rechtfertigung unzureichend finden sollte, mittelst förmlichen Beschlusses eine obervormundschaftliche Untersuchung anzuordnen, bei welcher die Vorlage der gewöhnlichen Verwaltungs-Rechnungen, und, nach Umständen, förmliche Rechnungs-Ablage über die bisherige vormundschaftliche Verwaltung verlangt werden kann.
Anonyme Anzeigen und Beschwerden über Mängel in der vormundschaftlichen Verwaltung hat Unser Oberappellations-Gericht niemals zu berücksichtigen.
i)
Findet sich ein gegründeter Anstand bei der Bestätigung des testamentarischen oder vertragsmäßigen Vormunds, weil dieser in irgend einer Hinsicht offenbar unfähig ist, die Vormundschaft zu führen, oder wenigstens sie allein zu bestreiten, so hat Unser Oberappellations-Gericht entweder einen andern Vormund aus der Klasse der Standesgenossen zu ernennen, oder, nach Befinden, dem ernannten einen Mitvormund aus derselben Klasse beizuordnen.
k)
Eben dieses ist der Fall bei der tutela legitima[WS 1], wenn dem, zur Vormundschaft berechtigten Agnaten erhebliche Ausstellungen entgegenstehen.
l)
In dergleichen Fällen hat übrigens Unser Oberappellations-Gericht, bei der Anstellung eines neuen oder Mitvormundes, vorzüglich auf die nächsten dazu qualificirten Verwandten der Minderjährigen Rücksicht zu nehmen, und diese nur aus erheblichen Gründen zu übergehen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gesetzlicher Anspruch auf die Vormundschaft. Der Vormund hatte in gewissen Grenzen die Nutznießung des Mündelvermögens.
  2. Empfohlene Zitierweise:
    Großherzog Ludwig I.: Edict, die standesherrlichen Rechts-Verhältnisse im Großherzogthum Hessen betreffend.. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1820 Nr. 17 S. 125-160. Darmstadt 1820, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Standesherrliche_Rechtsverh%C3%A4ltnisse_(Gro%C3%9Fh_Hess)(1820)_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)