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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

glücklich entwickelte Talent seiner raschen Aufnahme- und Wiedererzählungsfähigkeit. Denn alles, was er las, verarbeitete er auch auf seine Weise, schmückte und bildete daran mit seiner Phantasie und eilte dann, jene neugestalteten Geschichten im Kreise seiner Schwestern und deren Gespielinnen wiederzuerzählen. Ganz natürlich mußte dann eine solche Anregung seiner jugendlichen Einbildungskraft ihm Lust und Zeit zu den trocknen Lehrgegenständen der Schule nehmen und ihn bei seinem durch schwächlichen Körper bedingten geringeren Gedächtnisvermögen als einen talentlosen Knaben hinstellen. Bis zu seinem 15. Jahre besuchte er in Tübingen die auf einem Hügel des Osterberges (Mons Anatolicus) gelegene Schola Anatolica; im Herbst 1817 kam er dann in die Klosterschule zu Blaubeuren, ein theologisches Seminar, dessen Räume ehemals ein Benediktinerkloster gewesen waren. Hier in dem herrlich gelegenen Örtchen, in dem romantischen Thale der Blau, konnte er sich nun nach Herzenslust austummeln und seinem fröhlichen Jugendmute freien Lauf lassen. Es ist derselbe Ort, dem er später in schwärmender Erinnerung zuruft: „Sei mir gegrüßt, du Felsenthal der Alb! Du blauer Strom, an welchem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre lebte, die den Knaben zum Jüngling machen. Sei mir gegrüßt, du klösterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Äbte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar … Jene Thäler, jene Klostermauern waren das enge Nest, das uns aufzog, bis wir flügge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten.“ Auch das letztere, auf Hauff bezogen, ist richtig; denn hier in dem schönen Felsenthale entwickelte sich auch sein Körper rascher und kräftiger als bisher. Auch seinem Geiste gönnte er hier eine kräftigere und gesundere Nahrung, fast eine zu kräftige schon für sein Alter und besonders für die Art und Weise, wie er gewohnt war, alle Kost zu verschlingen. „Du bist hinter Goethe und Schiller geraten und verschlingst sie, ohne alles zu verstehen“, sagt er selbst. Aber mochte er auch immerhin noch nicht alles verstehen, hier war er doch auf einen Boden geraten, der ihm bei seinem Eifer der Beackerung einst reiche Früchte tragen sollte; nahm er doch so vieles von dem Stil dieser Vorbilder in sich auf, daß wir die Spuren desselben fast überall in seinen späteren Werken finden können. Freilich in den Lehrgegenständen der Schule, besonders in den Sprachen, für die doch sein Bruder so viel Anlage besaß, war er auch hier noch sehr schwach und lässig. Bezeichnend dafür ist das Schulzeugnis, welches ihm sein Rektor an die Oberbehörde in Stuttgart zur Aufnahmeprüfung für das theologische Landesseminar mitgab; er sagt hier, wie Schwab berichtet, „daß Wilhelm in [5] litteris, besonders in der lingua hebraica sehr mittelmäßig prädiziert sei; doch machte er auf das überraschende Deklamationstalent des Knaben aufmerksam, damit der Arme doch etwas für sich hätte, das ihn als dereinstigen geistlichen Redner empfehle.“

Im Herbst 1820 bezog er dann die Universität Tübingen, um hier, dem Wunsche der Mutter folgend, neben Philologie und Philosophie insbesondere Theologie zu studieren. Nach Ausweis des derzeitigen Verzeichnisses der Studierenden wurde er am 23. November daselbst inskribiert und wohnte anfangs in den Räumen des „Stifts“, eines 1536 von Herzog Ulrich gegründeten protestantischen Seminars in den Sälen eines ehemaligen Augustinerklosters; später siedelte er in die Wohnung der Mutter in der Haaggasse über. Hier auf der Universität begann nun ein neues, frisches, fröhliches Leben für ihn, dem er sich zunächst um so ungezügelter überließ, als er ohnehin der Theologie und ihren abstrakten Nebenfächern nicht viel Geschmack abgewinnen konnte. Sein offener Blick für alles, was um ihn her vorging, sein frisches, keckes Auffassungsvermögen hat uns auch von hier einige treffende Bilder im Lichte der Satire verschafft. Man lese nur die betreffenden Kapitel in seinen „Memoiren des Satan“, und man gehe in die Hörsäle und sehe, ob man heute nicht dieselben Beobachtungen an Dozenten und Studenten machen kann!

Auch über das gesellige Leben an der Universität gibt er uns selbst wertvolle Berichte; er erzählt von seiner Teilnahme an dem studentischen Leben und Treiben und gibt ergötzliche Beobachtungen zum besten.

Hier in Tübingen stand die Burschenschaft noch in voller Blüte, und ihr schloß sich Hauff mit Begeisterung an; er nahm ebensowohl an ihren ritterlichen Übungen, dem Turnen und Fechten, wie an ihren Gelagen und patriotischen Weihefesten teil. Von ersterem zeugen besonders seine Gedichte „Turnerlust“ und die Soldatenlieder, von dem zweiten das „Trinklied“ und das Gedicht „Burschentum“, für das letztre sprechen besonders die Gedichte, welche er für die Waterloofeste lieferte, die damals von der Burschenschaft noch besonders feierlich begangen wurden. Auch über diese Sachen finden sich prächtige Worte in den Satans-Memoiren, die bezeugen, daß er trotz aller Begeisterung doch auch verstand, die Kleinlichkeit so mancher Seite des Studententums herauszufühlen. Auch ist es sehr glaubwürdig, daß er bei seinem frischen, leichten Humor zu manchem Studentenstreiche das seine beigetragen hat, wenn es auch sicher etwas übertrieben ist, wenn er später in einem Briefe an Pfaff[1] sagt: „Ist es nicht ein Glück, daß ich bei so ausgezeichneter


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 4–5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)