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„Der Pfeifer von Hardt?“ fragte Georg, „zum erstenmal höre ich diesen Namen; und was ist es dann, wenn er der Pfeifer von Hardt ist?“

„Das weiß niemand recht, er war im Aufstand vom Armen Konrad einer der schrecklichsten Aufrührer, nachher wurde er begnadigt; seit der Zeit führt er ein unstetes Leben und ist jetzt Kundschafter des Herzogs von Württemberg.“

„Und hat man ihn aufgefangen?“ forschte Georg weiter, denn unwillkürlich nahm er wärmeren Anteil an seinem neuen Diener.

„Nein, das gerade ist das Unbegreifliche; man machte uns so still als möglich die Anzeige, daß er sich wieder in Ulm sehen lasse; in Eurem Stall soll er zuletzt gewesen sein, und als wir ihn ganz in geheim aufheben wollten, war er über alle Berge. Nun, ich glaube deinem Wort und deinen ehrlichen Augen, daß er in keinen andern Angelegenheiten zu dir kam. – Du kannst dich übrigens darauf verlassen, daß er, wenn es derselbe ist, den ich meine, nicht allein deinetwegen sich nach Ulm wagte. Und solltest du je wieder mit ihm zusammentreffen, so nimm dich in acht, solchem Gesindel ist nicht zu trauen. Doch der Wächter ruft zehn Uhr. Lege dich noch einmal aufs Ohr und verträume deine Gefangenschaft. Vorher aber gib mir dein Wort wegen der vierzehn Tage, und das sage ich dir, wenn du Ulm verläßt, ohne dem alten Frondsberg lebewohl zu sagen –“

„Ich komme, ich komme“, rief Georg, gerührt von der Wehmut des verehrten Mannes, die jener umsonst unter einer lächelnden Miene zu verbergen suchte. Er gab ihm Handtreue, wie es der Kriegsrat verlangte, der Ritter aber verließ mit langsamen Schritten die Totenkammer.



[143]

XII.


 „Nur einmal noch laß leuchten
 Mir deiner Augen Strahl,
 Laß hören deine Stimme
 Nur noch ein einzig Mal!“
 C. Grüneisen.[1]


Die Mittagssonne des folgenden Tages sendete drückende Strahlen auf einen Reiter, welcher über den Teil der Schwäbischen Alb, der gegen Franken ausläuft, hinzog. Er war jung, mehr schlank als fest gebaut und ritt ein hochgewachsenes Pferd von dunkelbrauner Farbe; er war wohlbewaffnet mit Brustharnisch, Dolch und Schwert; einige andere Stücke seiner Armatur, als der Helm und die aus Eisenblech getriebenen Arm- und Beinschienen, waren am Sattel befestigt. Die hellblau und weiß gestreifte Feldbinde, die von der rechten Schulter sich über die Brust zog, ließ erraten, daß der junge Mann von Adel war, denn diese Auszeichnung war damals ein Vorrecht höherer Stände.

Er war auf einem Berggipfel angekommen, welcher eine weite Aussicht ins Thal hinab gewährte. Er hielt sein schnaubendes Roß an, wandte es zur Seite und genoß nun den schönen Anblick, der sich vor seinem Auge ausbreitete. Vor ihm eine weite Ebene von waldigen Höhen begrenzt, durchströmt von den grünen Wellen der Donau; zu seiner Rechten die Hügelkette der Württembergischen Alb, zu seiner Linken in weiter, weiter Ferne die Schneekuppen der Tiroler Alpen. In freundlichem Blau spannte der Himmel seinen Bogen über diese Szene, und seine sanften, lichten Farben kontrastierten sonderbar mit den schwärzlichen Mauern Ulms, das am Fuße des Berges lag, mit seinem dunkelgrauen, ungeheuren Münsterturm. Die dumpfen Glocken dieser alten Kirche begannen in diesem Augenblick den Mittag einzuläuten, ihre Töne zogen in langen, beruhigenden Akkorden über die Stadt, über die weite Ebene, bis sie sich an den fernen Bergen brachen und zitternd in das Blau der Lüfte verschwebten, als wollten sie auf ihrer melodischen Leiter die Wünsche der Menschen zum Himmel tragen.


  1. Karl Grüneisen (1802–78), seit 1845 Oberhofprediger in Stuttgart, auch als Dichter vielfach hervorgetreten.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 142–143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_094.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)