Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 112.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zu wärmen, indessen habe man den Verwundeten, den sie seinen Kleidern nach für einen vornehmen Herrn erkannt habe, auf das Bett gebracht; der Vater habe ihm seine Wunden mit Kräutern verbunden, habe ihm dann auch selbst einen Trank bereitet, denn er verstehe sich trefflich auf die Arzneien: für Tiere und Menschen. Zwei Tage lang seien sie alle besorgt gewesen, denn der Junker habe gerast und getobt; nach dem zweiten Tränklein aber sei er stille geworden, der Vater habe gesagt, am achten Morgen werde er gesund und frisch erwachen, und wirklich sei es auch so eingetroffen.

Der junge Mann hatte mit wachsendem Erstaunen der Rede des Mädchens zugehört; er hatte sie oft unterbrechen müssen, wenn er ihre zierlichen Ausdrücke nicht recht verstand, oder wenn sie in ihrer Rede abschweifte, um die Kräuter zu beschreiben, woraus der Pfeifer von Hardt seine Arzneien bereitet hatte.

„Und dein Vater“, fragte er sie, „wo ist er?“

„Was wisset mier, wo er ist“, antwortete sie ausweichend, doch, als besinne sie sich eines besseren, setzte sie hinzu: „Uich kammes jo saga, denn Ihr müesset guet Freund sei mit em Vater; er ist nach Lichtastoi.“

„Nach Lichtenstein?“ rief Georg, indem sich seine Wangen höher färbten, „und wann kommt er zurück?“

„Ja, er sott schau seit zwoi Tag da sei, wie ner gsait hot. Wennem no nix gschea ist; d’Leut’ saget, dia bündische Reiter bassenem uf.“[Hauff 1]

Nach Lichtenstein – dorthin zog es ja auch ihn; er fühlte sich kräftig genug, wieder einen Ritt zu wagen und die Versäumnis der neun Tage einzuholen. Seine nächste und wichtigste Frage war daher nach seinem Roß; und als er hörte, daß es sich ganz wohl befinde und im Kuhstall seiner Ruhe pflege, war auch der letzte Kummer von ihm gewichen. Er dankte seiner holden Pflegerin für seine Wartung und bat sie um sein Wams und seinen Mantel. Sie hatte längst alle Spuren von Blut und Schwerthieben [179] aus den schönen Gewändern vertilgt, mit freundlicher Geschäftigkeit nahm sie die Habe des Junkers aus dem geschnitzten und gemalten Schrein, wo sie neben ihrem Sonntagsschmuck geruht hatte; lächelnd breitete sie Stück vor Stück vor ihm aus und schien sein Lob, daß sie alles so schön gemacht habe, gerne zu hören. Dann enteilte sie dem Gemach, um die frohe Botschaft, daß der Junker ganz genesen sei, der Mutter zu verkündigen.

Ob sie der Mutter auch gestanden, daß sie schon seit einer halben Stunde mit dem schönen, freundlichen Herrn geplaudert habe, wissen wir nicht; wir haben aber Ursache, daran zu zweifeln, denn jene ältliche, runde Frau hatte Erfahrung aus ihrer Jugend und glaubte ihrem Töchterlein die Warnung nie genug wiederholen zu können: Sie solle sich wohl hüten, mit einem jungen Burschen länger als ein Ave Maria lang zu sprechen.




II.


 „– Was kümmert’s dich? Du fragst
 Nach Dingen, Mädchen, die dir nicht geziemen.“
 Schiller.[1]


Als die runde Frau und Bärbele von der Bodenkammer herabstiegen, war ihr erster Gang nicht in das Gemach, wo ihr Gast war, sondern nach der Küche. Und zwar aus zweierlei Gründen. Einmal, weil jetzt dem Gast ein kräftiges Habermus gekocht werden mußte, und dann, – von der Küche ging ein kleines Fenster in die Stube, dorthin stellte sich die Mutter, um die Mienen des Junkers zu rekognoszieren.

Bärbele stellte sich auf die Zehen und schaute ihrer Mutter über die Schulter durchs Fensterlein. Sie staunte, und ihr Herz pochte seit siebzehn Jahren zum erstenmal recht ungestüm, denn so hübsch hatte sie sich doch den Junker nicht gedacht. Sie war zwar oft von seinem Anblick bis zu Thränen gerührt gewesen, wenn er mit starren Augen, ohne Bewußtsein, beinahe ohne Leben

  1. „Schon seit zwei Tagen sollte er hier sein. Wenn ihm nur nichts geschehen ist; die Leut’ sagen, die bündischen Reiter passen ihm auf.“

  1. „Die Jungfrau von Orleans“. Prolog, 3. Auftritt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 178–179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_112.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)