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ihm recht fest ins Auge; „i han gmoint, es sei vorig ebbes aus Eure Auga grollt, was selle Binde dort gnetzt hot. Sell hent er gwiß vo Eurem Schätzle, und jetzt thuet Ichs loid, daß Er et bei er sind.“[Hauff 1]

Sie mochte nahe ans Ziel getroffen haben, denn der junge Mann errötete tief über ihre Frage. „Du hast vielleicht recht“ sagte er lächelnd, „doch bin ich deswegen nicht gar zu traurig, ich werde sie bald wiedersehen.“

„Ach, was des für a Freud sein wird in Lichtastoi“, entgegnete Bärbele mit einem schelmischen Seitenblick.

Georg erstaunte; sollte ihr der Vater von dem Geheimnis seiner Liebe etwas gesagt haben? „In Lichtenstein?“ fragte er sie, „was weißt du von mir und Lichtenstein?“

„Ach, i mags dem gnädigen Fräule wohl gönna, daß se wieder amol a Freud hot; mer hot mer gsait, se häb rechtschaffa g’jomeret, wie er so krank gwesend.“[Hauff 2]

„Gejammert sagst du?“ rief Georg, indem er aufsprang und zu ihr trat; „so wußte sie um meine Krankheit? O sage, was weißt du von Marie? kennst du sie? Was sagte der Vater von ihr?“

„Der Vater hot koi Sterbeswörtle zu mer gsait, und i wißt au net, daß es a Fräule von Lichtastoi geit, wenn et mei Bas ihr Amm wär. Aber Er müeßet mers et übel nemma, Junker, dasse a bissele g’horcht hau; guket, des Ding ist so ganga:“[Hauff 3] Sie erzählte dem Junker, wie sie hinter das Geheimnis gekommen sei, und daß der Vater, wahrscheinlich um guten Trost zu bringen, nach Lichtenstein gegangen sei.

[189] Georg wurde schmerzlich bewegt durch diese Nachricht, er hatte bis jetzt geglaubt, Marie werde die Nachricht seines Unfalls zugleich mit der tröstlichen Kunde seiner Genesung erhalten; und jetzt mußte er erfahren, daß sie mehrere bange Tage in Ungewißheit geschwebt sei; in der schrecklichen Ungewißheit, ob er nicht hier noch entdeckt werde, ob er gerettet werde, ob sie ihn je wiedersehen würde; er kannte ihr treues Herz, und wie lebhaft konnte er sich ihren Kummer denken! Wahrlich, sein eigenes Unglück schien ihm gering und nicht zu beachten, wenn er sich den Jammer des teuren Mädchens vorstellte. Wie viel hatte sie in Ulm gelitten, wie schmerzlich war ihr der Abschied von ihm geworden; und kaum hatte ihr Herz wieder freier geatmet in dem Gedanken, daß er des Bundes Fahnen verlassen werde, kaum hatte sie ein wenig heiterer in die Zukunft gesehen, so kam ihr die Schreckensbotschaft von der tödlichen Wunde. Und dieses alles vor den Blicken des Vaters verschließen zu müssen, diesen großen Schmerz allein tragen müssen, ohne eine, auch nur eine Seele zu haben, bei welcher sie weinen, bei welcher sie Trost suchen konnte. Jetzt fühlte er erst, wie notwendig es sei, schnell nach Lichtenstein zu eilen, und seine Ungeduld wurde zum Unmut, daß jener sonst so kluge Mann gerade in diesen kostbaren Augenblicken so lange ausbleibe.

Das Mädchen mochte seine Gedanken erraten, „i sieh wohl, Er möchtet gern von ich fort; wenn no der Vater do wär, denn alloi fendet Er da Weg noch Lichtastoi net; er send koi Witaberger, des merke an der Sproch, und so kennet Er leicht verirra. Wisseter was? i lauf em Vater entgege und mach, daß er bald kommt.“[Hauff 4]

„Du wolltest ihm entgegengehen?“ sagte Georg, gerührt von der Gutmütigkeit des Mädchens, „weißt du denn, ob er schon in der Nähe ist? Vielleicht ist er noch stundenweit entfernt, und in einer Stunde wird es Nacht!“

  1. „Seid Ihr denn fröhlich? ich meinte doch, es sei vorhin etwas aus Euren Augen gerollt, was jene Binde genetzt hat. Das habt Ihr gewiß von Eurem Liebchen, und jetzt thut es Euch weh, daß Ihr nicht bei ihr seid.“
  2. „Ach, ich mag es dem gnädigen Fräulein wohl gönnen, daß sie einmal wieder eine Freude hat. Man sagte mir, sie habe gejammert, wie Ihr so krank gewesen.“
  3. „Der Vater hat kein Wörtchen zu mir gesagt, und ich wüßte auch nicht, daß es ein Fräulein von Lichtenstein gibt, wenn nicht meine Muhme ihre Amme wäre. Ihr müßt es mir nicht übelnehmen, daß ich ein wenig horchte; sehet, die Sache ging so:“
  4. „Allein könnt Ihr den Weg nicht finden. Ihr seid kein Württemberger, man merkt es an der Sprache. Ihr könntet leicht verirren, doch ich laufe meinem Vater entgegen und bewirke, daß er schneller kommt.“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 188–189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_117.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)