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halten. Neuer Herr, neu Gesetz. Man kann sich in allewege nach eigenem Gutdünken huldigen lassen. Soll ich die Feder eintauchen, gnädiger Herr?“

„Herr Kanzler!“ sagte Lichtenstein mit fester Stimme, „habe alle mögliche Ehrfurcht vor Eurer Gelahrtheit und Einsicht, aber was Ihr da sagt, ist grundfalsch und kein guter Rat. Jetzt gilt es, zu wissen, wen das Volk liebt. Der Bund hat durch sein Walten im Land alles gegen sich aufgebracht, es war die rechte Zeit, daß Seine Durchlaucht wiederkam, jetzt fliegen ihm alle Herzen zu –; wird er sie nicht gewaltsam von sich stoßen, wenn er alles Alte umreißt und nach eigener neuerer Satzung schaltet und waltet! O, bedenkt, bedenkt, die Liebe eines Volkes ist eine mächtige Stütze!“

Der Herzog stand mit untergeschlagenen Armen da, düster vor sich hinblickend, er antwortete nicht. Desto eifriger that dies der Kanzler im gelben Mäntelein. „Hi, hi, hi! Wo habt Ihr die schönen Sprüchlein her? Liebwerter, Hochgeschätzter! Liebe des Volkes, sagt Ihr? Schon die Römer wußten, was davon zu halten sei. Seifenblasen, Seifenblasen! hätt’ Euch für gescheiter gehalten. Wer ist denn das Land? Hier, hier steht es in Persona, das ist Württemberg; dem gehört’s; hat’s geerbt und jetzt noch dazu erobert. Volksliebe! Aprilenwetter! Wäre ihre Liebe so stark gewesen, so hätten sie nicht dem Bunde gehuldigt.“

„Der Kanzler hat recht!“ rief Ulerich, aus seinen Gedanken erwachend. „Du magst es gut meinen, Lichtenstein. Aber er hat diesmal recht. Meine Langmut hat mich zum Land hinausgetrieben, jetzt bin ich wieder da, und sie sollen fühlen, daß ich Herr bin. Die Feder her, Kanzler, ich sag’, so will ich’s; so wollen wir uns huldigen lassen!“

„O Herr! thut nichts in der ersten Hitze! Wartet, bis Euer Blut sich abkühlt. Rufet die Landschaft zusammen, machet Änderungen nach Eurem Sinne, nur jetzt nicht, nur nicht, solange der Bund noch Land besitzt in Württemberg; es könnte Euch schaden bei den übrigen. Gestattet nur noch eine kurze Frist.“

„So?“ unterbrach ihn der Kanzler, „daß man dann alsgemach wieder in das alte Wesen hineinkommt. Gebt acht, wenn [355] die Landschaft erst beisammen ist, wenn sie sich erst zusammen beraten, meinet Ihr, da werden sie so gutwillig nachgeben. Hi! hi! da wird man Gewalt anwenden müssen, und das macht erst verhaßt. Schmiedet das Eisen, solange es warm ist. Oder gelüstet Euer Durchlaucht, wieder ganz gehorsamlich unter das alte Joch zu stehen und den Karren zu ziehen?“

Der Herzog antwortete nicht. Er riß mit einer hastigen Bewegung Feder und Pergament dem Kanzler aus der Hand, warf einen schnellen, durchdringenden Blick auf ihn und den Ritter, und ehe noch dieser es verhindern konnte, hatte Ulerich seinen Namen unterzeichnet. Der Ritter stand in stummer Bestürzung; er senkte bekümmert das Haupt auf die Brust herab. Der Kanzler blickte triumphierend auf den Ritter und den Herzog. Doch dieser ergriff eine silberne Glocke, die auf dem Tisch stund, und klingelte. Ein Diener erschien und fragte nach seinem Befehl.

„Ist die Bürgerschaft versammelt?“ fragte er.

„Ja, Euer Durchlaucht! Auf den Wiesen gegen Kannstatt sind sie versammelt, Amt und Stadt; die Landsknechte rücken soeben aus; sechs Fähnlein.“

„Die Landsknechte? Wer gab die Erlaubnis?“

Der Kanzler zitterte vor dem Ton dieser Frage. „Es ist nur wegen der Ordnung“, sagte er, „ich habe gedacht, weil es bei solchen Fällen gebräuchlich sei, daß bewaffnete Mannschaft –“

Der Herzog winkte ihm, zu schweigen; er begegnete einem trüben, fragenden Blick des alten Lichtenstein, der ihn erröten machte. „Mit meinem Befehl geschah es nicht“, sprach er, „doch – es möchte auffallen, wenn wir sie zurückriefen. Es ist ja gleichgültig. Man bringe mir den roten Mantel und den Hut, schnell!“

Der Herzog trat ans Fenster und sah schweigend hinaus; der Kanzler schien nicht recht zu wissen, ob sein Herr erzürnt sei oder nicht, er wagte nicht zu sprechen, und der Ritter von Lichtenstein verstarrte in seinem trüben Schweigen. So standen sie geraume Zeit, bis sie von den Dienern unterbrochen wurden. Es traten vier Edelknaben ins Gemach, der erste trug den Mantel, der zweite den Hut, der dritte eine Kette von Gold und der vierte des Herzogs Schlachtschwert. Sie bekleideten den Herzog mit dem

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 354–355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_200.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)