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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter! Wenn Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner Dankbarkeit!“

Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er soeben gesprochen hatte, und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn am Lande; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley reichlich, und schiffte mich nach meinem Vaterland ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über meine Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als ich habe das Diamantenthal des berühmten Reisenden Sindbad[1] gefunden. Ich ließ sie auf ihrem Glauben; von nun an aber mußten die jungen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um gleich mir, ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und im Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken und für den Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein Paradies aufnehme.“

*


Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen:

„Ihr seid zwar der jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und wißt für uns gewiß irgend einen guten Schwank. [95] Tischet ihn auf, daß er uns erquicke nach der Hitze des Tages.“ – „Wohl möchte ich euch etwas erzählen“, antwortete Muley, „das euch Spaß machen könnte; doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen; sollte er uns nicht erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern können! denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderes Glaubens ist.“

Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine Reisegefährten; denn er hatte ihnen durch sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so ernst stimme.

Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: „Ich bin sehr geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könnet. Doch weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand.“


Die Geschichte von der abgehauenen Hand.

Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman (Dolmetscher) bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei einen ziemlich einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute


  1. Einer der Haupthelden in den Erzählungen der „Tausendundeinen Nacht“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 94–95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_049.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)