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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

gewinnenden Freundlichkeit entgegen, doch genierte mich ein unverkennbarer Zug von Ironie, der heute um seinen Mund spielte, und den ich sonst nie an ihm bemerkt hatte.

Er lachte mich aus, daß ich mich vor den Damen als schwachen Trinker ausgewiesen und einen Haarbeutel mir umgeschnallt habe, erzählte mir, daß ich selig entschlafen sei, und fragte mit einem lauernden Blick, was ich noch von gestern nacht wisse.

Ich teilte ihm meine verworrenen Erinnerungen mit, er belachte sie herzlich und nannte sie Ausgeburten einer kranken Phantasie.

Die Abreise der ganzen Gesellschaft gab er einer großen Herbstfeierlichkeit schuld, welche in Worms gehalten werde; sie seien alle, sogar der morose Ökonomierat, dorthin gereist; ihn selbst aber rufen seine Geschäfte den Rhein hinab.

Die Zufälle der Trübenau und der schönen Rosalie maß er dem starken Punsch bei und freute sich, durch Liebhaberei gerade so viele medizinische Kenntnisse zu besitzen, um bei solchen kleinen Zufällen helfen zu können.

Wir hörten den Wagen vorfahren, der Kellner meldete dies und brachte von dem dankbaren Hotel eine Flasche des ältesten Rheinweins. Natas hatte sie verdient, denn wahrlich nur er hatte uns so lange hier gefesselt.

„Sie sind Schriftsteller, lieber Doktor?“ fragte er mich, während wir den narkotisch duftenden Abschiedstrunk ausschlürften.

„Wer pfuscht nicht heutzutage etwas in die Litteratur?“ antwortete ich ihm; „ich habe mich früher als Dichter versucht, aber ich sah bald genug ein, daß ich nicht für die Unsterblichkeit singe. Ich griff daher einige Töne tiefer und übersetzte unsterbliche Werke fremder Nationen fürs liebe deutsche Publikum.“

Er lobte meine bescheidene Resignation, wie er es nannte, und fragte mich, ob ich mich entschließen könnte, die Memoiren eines berühmten Mannes, die bis jetzt nur im Manuskript vorhanden seien, zu übersetzen. „Vorausgesetzt, daß Sie dechiffrieren können, ist es eine leichte Arbeit für Sie, da ich Ihnen den Schlüssel dazu geben würde und das Manuskript im Hochdeutschen abgefaßt ist.“

[211] Ich zeigte mich, wie natürlich, sehr bereitwillig dazu, dechiffrieren verstand ich früher und hoffte es mit wenig Übung vollkommen zu lernen. Er schloß ein schönes Kästchen von rotem Saffian auf und überreichte mir ein vielfach zusammengebundenes Manuskript. Die Zeichen krochen mir vor dem Auge umher wie Ameisen in ihren aufgestörten Hügelchen, aber er gab mir den Schlüssel seiner Geheimschrift, und die Arbeit schien mir noch einmal so leicht.

Wir umarmten uns und sagten uns lebewohl; unter warmem Dank für seine Güte, die er noch zuletzt für mich gehabt, für die schönen Tage, die er uns bereitet habe, begleitete ich ihn an den Wagen; die Wagenthüre schloß sich, der Postillion hieb auf seine vier Rosse, sie zogen an, und die interessante Erscheinung flog von hinnen; aber aus dem Innern des Wagens glaubte ich jenes heisere Lachen zu vernehmen, das ich von gestern her unter den Bruchstücken meiner Erinnerung bewahrte.

Als ich die Treppe hinanstieg, händigte mir der Oberkellner einen Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meinen eigenen Händen zu übergeben befohlen; ich riß ihn auf –

„Verehrter, Wertgeschätzter!

Ich bin im Begriff, mein Roß zu besteigen und aus dieser Höhle des brüllenden Löwen zu entfliehen. Ich sage Ihnen schriftlich lebewohl, weil Sie aus der todähnlichen Betäubung, die Sie härter als uns alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Daß unser fröhliches Zusammenleben so schauerlich endigen mußte! Nicht wahr, lieber Zweifler, jetzt haben Sie es ja klar, daß dieser Natas nichts anderes als der leibhaftige Satan war!

Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblick über die Schulter und liest, was ich sage, aber dennoch schweige ich nicht. Den armen Ökonomierat und sein Töchterlein, die blasse Trübenau, meine schöne Thingen, den Hauptmann und den Oberforstmeister hat er in seinem Netz. Gott gebe, daß er Sie nicht auch geködert hat. Mich hat er halb und halb, denn ich habe allzu tief eingebissen in seine mit chemischen Ideen bespickte Angel. Ich reiße mich los und mache, daß ich fortkomme.

Adieu Bester! Montag den 7. Oktober, früh 6 Uhr.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 210–211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)