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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

‚Hier, meine Herren, werden Sie die Belege zu dem Mord finden‘, sagte sie, indem sie uns lächelnd das Buch überreichte.

‚Taschenbuch für 1802‘, murmelte der Direktor, indem er das Buch aufschlug und durchblätterte, ‚was Teufel, gedruckt und zu lesen steht hier: Pauline Dupuis von –. Mein Gott, Sie sind die Witwe des Herrn von –, und wenn ich nicht irre, selbst Schriftstellerin?‘

‚So ist es‘, antwortete die Dame, und brach in ein lustiges Lachen aus, in welches auch der Direktor einstimmte, indem er, vor Lachen sprachlos, auf mich deutete.

‚Und Elise, wie ist es mit diesem armen Kind?‘ fragte ich, den Zusammenhang der Sache und die Fröhlichkeit der Mörderin und des Polizeimannes noch immer nicht verstehend.

‚Die liegt ermordet auf meinem Schreibtisch‘, sagte die Lachende, ‚und soll morgen durch die Druckerei zum ewigen Leben eingehen.‘

Was brauche ich noch dazuzusetzen? Meine Herren und Damen! Ich war der Narr im Spiel und jene Frau war die rühmlichst bekannte, interessante Th. v. H.[1] Die Erzählung ‚Pauline Dupuis‘ ist noch heute zu lesen; ob die geniale Frau ihre ‚Elise‘, die sie am Morgen jenes Tages nach dem Kaffee vollendet hatte, herausgegeben, weiß ich nicht. Ich mußte aus S. entfliehen, um nicht zum Gespötte der Stadt zu werden. Vorher aber schickte mir der Polizeidirektor noch eine große Diätenrechnung über Zeitversäumnis, weil ich durch jene lustige Mordgeschichte den Durstigen von seinem gewöhnlichen Abendbesuch in einem Klub abgehalten hatte.“

Der Ewige Jude hatte mit einer verbindlichen Wendung an Frau von Wollau geendet; allgemeiner Beifall ward ihm zu teil, und ein gnädiges Lächeln der Hausfrau sagte ihm, wie glücklich er sich gerechtfertigt hatte; und, wie die finstern Blicke dieser Dame vorher die Männer aus seiner unglücklichen Nähe entfernt hatten, ebenso schnell nahten sie sich ihm wieder, als ihn die Gnadensonne [271] wieder beschien. Man zog ihn öfter ins Gespräch, man befragte ihn über seine Reisen, namentlich über jene in Süddeutschland; denn wie Schottland und seine Bewohner für London und Altengland überhaupt, so ist Schwaben für die Berliner, welche nie an den Rebenhügeln des Neckars und an den fröhlich grünenden Gestaden der obern Donau eines jener sinnigen herzlichen Lieder aus dem Munde eines „luschtiga Büebles“ oder eines rüstigen, hochaufgeschürzten „Mädles“ belauschten, ein Gegenstand hoher Neugierde.

Welch sonderbare Meinungen über jenes Land, selbst in gebildeten Zirkeln wie dieser elegante Thee, im Umlauf seien, hörte ich diesen Abend zu meinem großen Erstaunen. In einem Zaubergarten, von sanften Hügeln, von klaren blauen Strömen, von blühenden, duftenden Obstwäldern, von prangenden Weingärten durchschnitten, wohne, meinten sie, ein Völkchen, das noch so ziemlich auf der ersten Stufe der Kultur stehe; immense Gelehrte, die sich nicht auszudrücken verstünden, phantasiereiche Schriftsteller, die kein Wort gutes Deutsch sprechen. Ihre Mädchen haben keine Bildung, ihre Frauen keinen Anstand; ihre Männer werden vor dem vierzigsten Jahre nicht klug, und im ganzen Lande werden alle Tage viele Tausende jener Thorheiten begangen, die allgemein unter dem Namen „Schwabenstreiche“ bekannt seien.

Mir kam dieses Urteil lächerlich vor; ich war manches Jahr in Schwaben gewesen und hatte mich unter den guten Leutchen ganz wohl befunden; hätte ich nicht befürchten müssen, aus der Rolle eines Zöglings zu fallen, ich hätte sogleich darauf geantwortet, wie ich es wußte; so aber ersparte mir mein Mentor die Mühe, welcher, unglücklich genug, die gute Meinung, die er auf einige Augenblicke gewonnen hatte, nur zu schnell wieder verlieren sollte!

„Ob die Berliner“, sagte er, „mehr innere Bildung, mehr Eleganz der äußern Formen besitzen, als die Schwaben, ob man hier im Brandenburgischen mit mehr Feinheit ausgerüstet auf die Erde, oder vielmehr auf Sand kommt, als in Schwaben, wage ich nicht zu untersuchen, aber so viel habe ich mit eigenen Augen gesehen, daß man dort im Durchschnitt unter den Mädchen eine


  1. Therese Huber (1764–1829), die Gattin des Schriftstellers Ludw. Ferd. Huber (1764–1804); ihre Erzählung „Pauline Dupuis“ erschien im „Taschenbuch für 1802“ unter dem Namen ihres Gatten.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 270–271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_136.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)