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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

wußte, daß ich die unregelmäßigen griechischen Verba nicht lernte, und dafür bekam ich Schläge.

So war ich fünfzehn und meine Dame vierzehn Jahre alt geworden; ungetrübt war bis jetzt der Himmel unserer Liebe gewesen, da ereigneten sich mit einemmal zwei Unglücksfälle, wovon schon einer für sich hinreichend gewesen wäre, mich aus meinen Höhen herabzuschmettern.

Es war die Zeit, wo nach dem Frieden von Paris die Fouquéschen[1] Romane anfingen, in meinem Vaterlande Mode zu werden …“

„Was ist das, Fouquésche Romane?“ fragte der Lord.

„Das sind lichtbraune, fromme Geschichten; doch durch diese Definition werden Sie nicht mehr wissen als vorher. Herr von Fouqué ist ein frommer Rittersmann, der, weil es nicht mehr an der Zeit ist, mit Schwert und Lanze zu turnieren, mit der Feder in die Schranken reitet und kämpft wie der gewaltigen Wäringer[2] einer. Er hat das ein wenig rohe und gemeine Mittelalter modernisiert oder vielmehr unsere heutige modische Welt in einigen frommen Mystizismus einbalsamiert und um fünfhundert Jahre zurückgeschoben. Da schmeckt nun alles ganz süßlich und sieht recht anmutig, lichtdunkel aus; die Ritter, von denen man vorher nichts anders wußte, als sie seien derbe Landjunker gewesen, die sich aus Religion und feiner Sitte so wenig machten als der Großtürke aus dem sechsten Gebot, treten hier mit einer bezaubernden Kourtoisie auf, sprechen in feinen Redensarten, sind hauptsächlich fromm und kreuzgläubig.

Die Damen sind moderne Schwärmerinnen, nur keuscher, reiner, mit steifen Krägen angethan und überhaupt etwas ritterlich aufgeputzt. Selbst die edlen Rosse sind glänzender als heutzutage und haben ordentlich Verstand, wie auch die Wolfshunde und andere solche Getiere.“

[323]Mon dieu! solchen Unsinn liest man in Deutschland?“ rief der Franzose und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen.

„O ja, meine Herren, man liest und bewundert. Es gab eine Zeit bei uns, wo wir davon zurückgekommen waren, alles an fremden Nationen zu bewundern; da wir nun, auf unsere eigenen Herrlichkeiten beschränkt, nichts an uns fanden, das wir bewundern konnten, als die tempi passati – so warfen wir uns mit unserem gewöhnlichen Nachahmungseifer auf diese und wurden allesamt altdeutsch.

Mancher hatte aber nicht Phantasie genug, um sich ganz in jene herrliche vergangene Zeiten hineinzudenken, man fühlte allgemein das Bedürfnis von Handbüchern, die wie Modejournale neuerer Zeit über Sitten und Gebräuche bei unseren Vorfahren uns belehrt hätten, da trat jener fromme Ritter auf, ein zweiter Orpheus, griff er in die Saiten, und es entstand ein neu Geschlecht; die Mädchen, die bei den französischen Garnisonen etwas frivol geworden waren, wurden sittige, keusche, fromme Fräulein, die jungen Herren zogen die modischen Fracks aus, ließen Haar und Bart wachsen, an die Hemder eine halbe Elle Leinwand setzen, und ‚Kleider machen Leute‘ sagt ein Sprichwort, probatum est, auch sie waren tugendlich, tapfer und fromm.“

God damn! Sie haben recht, ich habe solche Figuren gesehen“, unterbrach ihn der Engländer, „vor acht Jahren machte ich die große Tour und kam auch nach der Schweiz. Am Vierwaldstätter See ließ ich mir den Ort zeigen, wo die Schweizer ihre Republiken gestiftet haben. Ich traf auf der Wiese eine Gesellschaft, die wunderlich, halb modern, halb aus den Garderoben früherer Jahrhunderte sich gekleidet zu haben schien. Fünf bis sechs junge Männer saßen und standen auf der Wiese und blickten mit glänzenden Augen über den See hin. Sie hatten wunderbare Mützen auf dem Kopf, die fast anzusehen waren wie Pfannkuchen. Lange, wallende Haare fielen in malerischer Unordnung auf den Rücken und die Schultern; den Hals trugen sie frei und hatten breite, zierlich gestickte Krägen, wie heutzutage die Damen tragen, herausgelegt.

Ein Rock, der offenbar von einem heutigen Meister, aber nach antiker Form gemacht war, kleidete sie nicht übel; er schloß


  1. Freiherr Friedr. Heinr. Karl de la Motte-Fouqué (1777–1843) ist der Verfasser des Märchens „Undine“ und zahlreicher überspannter Ritterromane.
  2. Wäringer oder Waräger, d. h. Gefährten, Eidgenossen, wurden die Bewohner der Skandinavischen Halbinsel genannt, die vom 9. bis 11. Jahrhundert gewaltige Raubzüge an der Küste der Ost- und Nordsee unternahmen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 322–323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_163.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)