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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

oder ob es nicht vernünftiger wäre, wenn ihm die Beine ein wenig umgedreht würden, daß er vor- und rückwärts spaziere, wie man es haben wolle. Das hast du wohl versucht in den Tagen deiner Kindheit und es war ein unschuldiges Spiel, denn dem Gliedermann war es gleichgültig, ob ihm die Beine über die Schulter herüberkamen oder nicht, ob er den Rücken herabschaute oder vorwärts, er lächelte so dumm wie zuvor, denn er hatte ja kein Gefühl, und es that ihm nicht weh im Herzen, denn auch dieses war ja aus Holz geschnitzelt und wahrscheinlich aus Lindenholz.

Aber selbst ein solcher Gliedermann sein zu müssen in den täppischen Händen der Klein-Justheimer Kriminalen! Sie renkten und drehten mir die Glieder, setzten mir den Kopf so oder so, wie es ihnen gefällig, oder auch nach Vorschrift des Justinian, drehten und wendeten mein Recht, bis das Kadaver vor ihnen lag auf dem grünen Sessionstisch, wie sie es haben wollten, mit verrenkten Gliedern, und sie nun anatomisch aufnotieren konnten, was für Fehler und Kuriosa an ihm zu bemerken, nämlich, daß er das Gesicht im Nacken, die Füße einwärts, die Arme verschränkt et cetera trage, ganz gegen alle Ordnung und Recht.

Ware, Ware! nannten sie deine Memoiren, o Satan, Ware! als würde dergleichen nach der Elle aus dem Gehirn hervorgehaspelt, wie es jener Schwarzkünstler und Eskamoteur[1] gethan, der Bänder verschluckte und sie herauszog, Elle um Elle aus dem Rachen. Warenfälschung, Einschwärzen, Defraudation, o welch herrliche Begriffe, um zu definieren, was man will. Und rechtswidrige Täuschung des Publikums, wer hat denn darüber geklagt? Wer ist aufgestanden unter den Tausenden und hat Zetter geschrien, weil er gefunden, daß das Büchlein nicht von dem Schwarzen selbst herrühre, daß er den Missethäter bestraft wissen wolle für diese rechtswidrige Täuschung? O Klein-Justheim, wie weit bist du noch zurück hinter England und Frankreich, daß du nicht einmal einsehen kannst, Werke des Geistes seien kein nachgemachter Rum oder Arrak und gehören durchaus nicht vor deine Schranken.

[339] Traurig musterte ich das Manuskript des zweiten Teiles, der nun für mich und das Publikum verloren war; ich dachte nach über das Hohngelächter der Welt, wenn der erste nur ein Torso, ein schlechtes abgerissenes Stück, verachtet auf den Schranken der Leihbibliotheken sitze, trübselig auf die hohe Versammlung der Romane und Novellen aller Art herabschaue, und ihnen ihre abgenützten Gewänder beneide, die den großen Furor, welchen sie in der Welt machen, beurkunden, wie er seine andere Hälfte, seinen Nebenmann, den zweiten herbeiwünsche, um verbunden mit ihm schöne Damen und Herren zu besuchen, was ihm jetzt als einem Invaliden beinahe unmöglich war. Da wurde mir eines Morgens ein Brief überbracht, dessen Aufschrift mir bekannte Züge verriet. Ich riß ihn auf, ich las:

„Wohlgeborner, sehr verehrter Herr!

Durch den Oberjustizrat Hammel, der vor einigen Tagen das Zeitliche gesegnet, und an mein Hoflager kam, erfuhr ich zu meinem großen Ärger die miserabeln Machinationen, die gegen Euch gemacht werden. Bildet Euch nicht ein, daß sie von mir herrühren. Mit großem Vergnügen denke ich noch immer an unser Zusammentreffen in den drei Reichskronen zu Mainz, und in meiner jetzigen Zurückgezogenheit und bei meinen vielen Geschäften im Norden komme ich selten dazu, eine deutsche Litteraturzeitung zu lesen, aber einige Rezensenten, welche ich sprach, versichern mich, mit welchem Eifer Ihr meine Memoiren herausgegeben habt, und daß das Publikum meine Bemühungen zu schätzen wisse. Der Prozeß, den man Euch an den Hals warf, kam mir daher um so unerwarteter. Glaubet mir, es ist nichts als ein schlechter Kunstgriff, um mich nicht als Schriftsteller aufkommen zu lassen, weil ich ein wenig über ihre Universitäten schimpfte, und die ästhetischen Thees, und Euch wollen sie nebenbei auch drücken. Lasset Euch dies nicht kümmern, Wertester; gebet immer den zweiten Teil heraus, im Notfall könnet Ihr gegenwärtiges Schreiben jedermann lesen lassen, namentlich den Wackerbart, saget ihm, wenn er meine Handschrift nicht kenne, so kenne ich um so besser die seinige.


  1. Frz. = Taschenspieler.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 338–339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_171.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)