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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ich muß gestehen, ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu finden, weil sie mir in eine gewöhnliche Liebesgeschichte auszuarten schien. Doch zwei Umstände waren es, die mir von neuem wieder Interesse einflößten und mich bestimmten, seine Abenteuer zu hören. Ich erinnerte mich nämlich, wie überraschend sein Anblick, sein ganzes Wesen in Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewöhnliche Kummer der Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Mühlendamm ausspricht, es war ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so anziehender dünkte, als es nur ganz unmerklich und leise durch jene Hülle schimmerte, womit die gesellschaftlichen Formen die weinende Seele umgeben. Er schien ein Unglück zu kennen, zu teilen, das ihn unausgesetzt beschäftigte, zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten in einem ästhetischen Thee rettungsvoll zurückführte.

Das zweite, was mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich hatte dort bemerkt, daß er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war gekommen, aber es schien kein fröhliches Zusammentreffen. Sie schien ihn etwas mit ihren Blicken zu fragen, das er nicht beantworten, sie schien etwas zu verlangen, das er nicht erfüllen konnte; wie schwer mußte es ihm werden, in der Ferne zu stehen und dem holden Mädchen durch keine Silbe zu antworten, er ließ sie gehen wie sie gekommen: aber dann sandte er ihr Blicke voll zärtlicher Liebe nach. Warum sagte er ihr nicht auf der Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt mußte sie über ihn ausüben, um ihn in diese engen Schranken einer beinahe blöden Bescheidenheit zurückzuweisen? Wieviel es sie koste, sah ich an ihrem Auge, in welchem eine Thräne perlte, als sie weiterging.

Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich über den jungen Mann und die rätselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet und ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner aus, sei er Gott oder Teufel; wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur auf die Resultate seiner Geschichte sieht: „Es wiederholt sich alles im Leben“. Aber wie es [361] sich wiederhole, wie der endliche Geist in seiner kurzen Spanne Zeit wächst und ringt und strebt und gegen die alte Notwendigkeit ankämpft, das ist ein Schauspiel, das sich täglich mit ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen gesättigt, vom Anschauen der Kämpfe großer Massen ermüdet ist, senkt sich gerne abwärts zum kleineren Treiben des Einzelnen. Drum möge es keinem jener verehrlichen Leute, für die ich meine Memoiren niederschreibe, kleinlich dünken, daß ich in Rom, wo so unendlich viel Stoff zur Intrige, ein so großer Raum zu einem diabolischen Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !

Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf der Tiber. Wir hatten eine der größeren Barken bestiegen und die freien Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte, wie uns die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwül und wirkte selbst mitten im Fluß so drückend und ermattend auf diese Menschen, daß unser Gespräch nach und nach verstummte. Ich vernahm jetzt ein halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes, ich setzte mich ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Männer und eine Frau, soviel ich aus ihren Stimmen schließen konnte. Sie sprachen aber etwas verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltönendes Italienisch, er sprach langsam und mit vieler Salbung, die Dame mischte unter sechs italienische Worte immer zwei spanische und ein französisches; der andere Mann, der wenig, aber schnell und mit Leidenschaft sprach, hatte jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an welcher man in Italien sogleich den Deutschen oder Engländer erkennt.

Ein kleiner Riß in der Gardine des Zeltes ließ mich die kleine Gesellschaft überschauen; und o Wunder! jene salbungsvolle Rede entströmte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenüber saß eine Dame, schon über die erste Blüte hinaus, aber noch immer schön zu nennen. Ihre beweglichen schwarzen Augen, ihre vollen roten Lippen, ihr etwas nachlässiges Kostüm, dessen Schuld der schwüle

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 360–361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_182.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)